Wie sich Bakterien an Fasern im Darm festhalten

Darmbak­terium, das durch Adhäsi­ons­pro­teine auf der Oberfläche der Bakterien an Zellu­lo­se­fasern gebunden ist. Cohesin (gelb) und Dockerin (grün) verbinden sich zu einem Prote­in­komplex, der einen dualen Bindungs­modus aufweist. Bild: Univer­sität Basel, Depar­tement Chemie

Wie sich Bakterien an Fasern im Darm festhalten

Forscher haben den moleku­laren Mecha­nismus aufge­klärt, mit dem sich Bakterien an Zellu­lo­se­fasern im Darm anheften. Indem sie auf zwei verschiedene Arten an die Fasern binden, können sie den Scher­kräften im mensch­lichen Körper stand­halten. Das Forschungsteam der Univer­sität Basel und der ETH Zürich hat seine Ergeb­nisse in der Zeitschrift «Nature Commu­ni­ca­tions» veröffentlicht.

Zellulose ist ein Haupt­be­standteil pflanz­licher Zellwände. Sie besteht aus Molekülen, die zu festen Fasern verbunden sind. Für den Menschen ist Zellulose unver­daulich, und auch der Mehrheit der Darmbak­terien fehlen die Enzyme, die für den Abbau erfor­derlich sind.

Kürzlich wurde jedoch geneti­sches Material des zellu­lo­se­ab­bau­enden Bakte­riums R. champa­nel­lensis in mensch­lichen Darmproben nachge­wiesen. Die bakte­rielle Besiedlung des Darms ist von grund­le­gender Bedeutung für die mensch­liche Physio­logie, und die Kenntnis, wie sich Darmbak­terien an Zellulose anheften können, erweitert unser Verständnis des Mikro­bioms und seiner Bedeutung für die mensch­liche Gesundheit.

Um sich an Zellu­lo­se­fasern zu heften und diese abzubauen, verwendet das unter­suchte Bakterium ein kompli­ziertes Netzwerk von Gerüst­pro­teinen und Enzymen an der äusseren Zellwand, das als Cellu­losom bezeichnet wird. Die Cellu­losome werden durch wechsel­wir­kende Proteine bestimmter Familien zusammengehalten.

Von beson­derem Interesse ist die Cohesin-Dockerin-Wechsel­wirkung, die für die Veran­kerung der Cellu­losome an der Zellwand sorgt. Sie muss den Scher­kräften im Körper stand­halten, damit das Bakterium an den Fasern haften bleibt. Es war diese für das Bakterium lebens­wichtige Eigen­schaft, welche die Forscher motiviert hat zu unter­suchen, wie genau die Veran­kerung auf mecha­nische Kräfte reagiert.

Das Team um Prof. Dr. Michael Nash von der Univer­sität Basel und der ETH Zürich sowie Forschende der LMU München und der Auburn University verwen­deten eine Kombi­nation aus Einzel­mo­lekül-Raster­kraft­mi­kro­skopie, Einzel­mo­lekül-Fluoreszenz und Moleku­lar­dy­namik-Simula­tionen, um zu klären, wie der Prote­in­komplex den äusseren Kräften widersteht.

Zwei verschiedene Bindungen – je nach Strömungsverhältnissen

Die Forscher beobach­teten, dass der Prote­in­komplex ein seltenes Verhalten zeigt, das als dualer Bindungs­modus bezeichnet wird. Dabei bilden die Proteine auf zwei verschiedene Arten einen Komplex. Weitere Analysen zeigten, dass die beiden Bindungsmodi sehr unter­schied­liche mecha­nische Eigen­schaften aufweisen, wobei der eine bei geringen Kräften von etwa 200 Pikonewton bricht und der andere eine viel höhere Stabi­lität aufweist und bis zu einer Kraft von 600 Pikonewton standhält.

Zudem wiesen sie am Prote­in­komplex einen sogenannten «catch bond» nach – eine Bindung, die nicht schwächer, sondern stärker wird, wenn schnell an den Proteinen gezogen wird. Die Forscher vermuten, dass diese Dynamik es den Bakterien ermög­licht, einer­seits stabil an Zellulose zu haften und anderer­seits den Komplex als Reaktion auf neue Substrate oder zur Erkundung einer neuen Umgebung freizusetzen.

«Über die biolo­gische Bedeutung der dualen Bindungsmodi können wir nur speku­lieren. Wir vermuten, dass die Bakterien die Präferenz des Bindungs­modus kontrol­lieren können, indem sie die Proteine modifi­zieren. Dies würde es erlauben, je nach Umgebung von einem niedrigen zu einem hohen Adhäsi­ons­zu­stand zu wechseln», erklärt Prof. Nash.

Die neuen Erkennt­nisse zu diesem komplexen natür­lichen Adhäsi­ons­me­cha­nismus sind grund­legend für die Entwicklung künst­licher moleku­larer Mecha­nismen, die ein ähnliches Verhalten zeigen, aber beispiels­weise an krank­heits­re­le­vante Zielmo­leküle binden. Solche Materialien könnten zukünftig in bioba­sierten medizi­ni­schen Sekun­den­klebern zur Anwendung kommen oder dazu beitragen, dass thera­peu­tische Nanopar­tikel im Körper trotz Scher­kräften besser binden. «Vorerst sind wir gespannt darauf, ins Labor zurück­zu­kehren und zu sehen, was haften bleibt», sagt Michael Nash.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Zhaowei Liu, Haipei Liu, Andrés M. Vera, Rafael C. Bernardi, Philip Tinnefeld, Michael A. Nash

High Force Catch Bond Mechanism of Bacterial Adhesion in the Human Gut

Nature Commu­ni­ca­tions (2020), doi: 10.1038/s41467-020–18063‑x

https://doi.org/10.1038/s41467-020–18063‑x

Textquelle: Reto Caluori, Univer­sität Basel

Bildquelle: Darmbak­terium, das durch Adhäsi­ons­pro­teine auf der Oberfläche der Bakterien an Zellu­lo­se­fasern gebunden ist. Cohesin (gelb) und Dockerin (grün) verbinden sich zu einem Prote­in­komplex, der einen dualen Bindungs­modus aufweist. Bild: Univer­sität Basel, Depar­tement Chemie