Typ-2-Diabetes und Darmbak­terien ohne Rhythmik

Prof. Haller und seine Mitar­bei­te­rinnen. Haller (*1968) forscht auf dem Gebiet der Ernäh­rungs­wis­sen­schaft. Schwer­punkt­thema sind Bakterien (Mikrobiom) im Darm und deren Rolle bei chronisch entzünd­lichen Krank­heiten, wie Morbus Crohn, und der Krebs­ent­stehung. Foto: A. Heddergott / TUM

Typ-2-Diabetes und »Darmbak­terien ohne Rhythmik«

Im Tages­verlauf verändern sich Anzahl und Zusam­men­setzung der im Darm des Menschen aktiven Bakterien, das so genannte Darmmi­krobiom. Dies haben Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler unter Feder­führung der Techni­schen Univer­sität München (TUM) am Zentral­in­stitut Food & Health (ZIEL) in Freising in einer der größten Studien zum Thema Mikrobiom und Diabetes mit mehr als 4000 Personen gezeigt. Bei Typ-2-Diabe­tikern jedoch gehen diese tages­zeit­lichen Schwan­kungen verloren.

Die mikro­bielle Zusam­men­setzung des Darms ist komplex und indivi­duell sehr unter­schiedlich. Viele Faktoren, wie Umwelt­ein­flüsse, Lebensstil, Genetik oder Erkran­kungen beein­flussen das Ökosystem der hilfreichen Bakterien im Darm. Dirk Haller, Professor für Ernährung und Immuno­logie an der TUM, und sein Team haben die Bedeutung tages­zeit­licher Schwan­kungen des Mikro­bioms im Zusam­menhang mit der Erkrankung Diabetes Typ 2 bei mehr als 4000 Personen analy­siert und damit die erste Studie auf diesem Gebiet mit humanen Probanden vorgelegt.

Die Rolle von Darmbak­terien bei Erkrankungen

»Um festzu­stellen, ob Änderungen im Darmmi­krobiom Rückschlüsse auf Erkran­kungen erlauben, bedarf es so genannter prospek­tiver Kohor­ten­studien«, sagt Prof. Haller. In solchen prospektiv-voraus­schau­enden Kohor­ten­studien wird ein Querschnitt aus der Bevöl­kerung beobachtet, ohne dass die Teilneh­me­rinnen und Teilnehmer irgend­welche Symptome einer Krankheit zeigen. Die Population wird im Laufe der Zeit nachbe­ob­achtet. So lässt sich erkennen, ob eine bestimmte Beobachtung typisch für das spätere Auftreten einer Erkrankung ist.

Verbes­serte Diagnose und Prognose von Typ-2-Diabetes möglich

»Wenn bestimmte Darmbak­terien keine tages­zeit­liche Rhythmik aufweisen, sich also in Zahl und Funktion im Laufe des Tages nicht verändern, kann man auf eine mögliche Erkrankung mit Typ-2-Diabetes schließen. Dieses Wissen verbessert sowohl die Diagnose als auch Prognostik von Typ-2-Diabetes«, sagt Chrono­bio­login Dr. Silke Kiessling, die ebenfalls an der Studie beteiligt ist.

Diese Bakterien, die sich im Tages­verlauf nicht mehr verändern, also arrhyth­misch sind, sind Marker für eine poten­zielle Erkrankung. Die Forschenden nennen dies eine Risiko­si­gnatur. »Auch mathe­ma­tische Modelle zeigen, dass diese mikro­bielle Risiko­si­gnatur, die aus arrhyth­mi­schen Bakterien besteht, zur Diagnose von Diabetes mit beiträgt«, so die Erstau­torin Sandra Reitmeier.

Primär wurden die Daten aus einer bestehenden unabhän­gigen Kohorte des Helmholtz Zentrums München analy­siert. Die Ergeb­nisse zum Diabetes wurden mit weiteren Kohorten aus Deutschland validiert. »Aus dem Vergleich mit Kohorten in England konnten wir zeigen, dass unter anderem der regionale Einfluss auf das mikro­bielle Ökosystem erheblich ist. Demnach ergibt sich der Bedarf, lokal spezi­fische arrhyth­mische Risiko­si­gna­turen zu finden«, erklärt Haller und betont: »Neben Bakterien und deren Unter­schiede je nach Tageszeit spielen noch weitere Parameter wie der Body-Mass-Index eine Rolle, um ein späteres Erkranken einer Person besser vorher­sagen zu können.«

Tag-Nacht-Rhythmus der Bakterien im Darm als Basis weiterer Forschung

Eine Angabe zur Tageszeit der Stuhl­pro­ben­nahme in der Human­for­schung kann die Diagnose von Erkran­kungen stark beein­flussen. »Die Dokumen­tierung dieser Zeitan­gaben ist zur Verbes­serung von Risiko­markern essen­ziell«, ist sich Prof. Haller sicher. Die Unter­su­chungen unter­mauern die Hypothese, dass Verän­de­rungen im Mikrobiom einen Einfluss auf ernäh­rungs­re­le­vante Erkran­kungen haben. Welchen Einfluss eine Darmflora, die sich im Tages­verlauf (nicht) verändert, auf andere Mikrobiom-assozi­ierte Darmer­kran­kungen wie Morbus Crohn oder Darmkrebs hat, könnte das Thema weiterer Forschungen werden.

Die Ergeb­nisse dieser Studie sind insbe­sondere von großer Bedeutung für die weitere Arbeit im Sonder­for­schungs­be­reich »Micro­biome Signa­tures«, denn gerade im klini­schen Bereich bieten Kohor­ten­studien wichtige Vergleichs­mög­lich­keiten der Daten gesunder und kranker Probanden.

Origi­nal­pu­bli­kation: Reitmeier, Sandra, Kiessling, Silke, et al., Haller, Dirk. (2020): »Arrhythmic gut micro­biome signa­tures predict risk of Type 2 Diabetes« in: Cell Host & Microbe. DOI: 10.1016/j.chom.2020.06.004

Textquelle: Dr. Ulrich Marsch, Technische Univer­sität München

Bildquelle: Prof. Haller und seine Mitar­bei­te­rinnen. Haller (*1968) forscht auf dem Gebiet der Ernäh­rungs­wis­sen­schaft. Schwer­punkt­thema sind Bakterien (Mikrobiom) im Darm und deren Rolle bei chronisch entzünd­lichen Krank­heiten, wie Morbus Crohn, und der Krebs­ent­stehung. Foto: A. Heddergott / TUM