«Tumor­karten» für künftige Immuntherapien

«Tumor­karten» für künftige Immuntherapien

Bösartige Hirntumore operativ vollständig zu entfernen, ist nicht immer möglich. Forschende der Univer­sität Zürich und des Univer­si­täts­spitals Zürich konnten nun die Zusam­men­setzung der Immun­zellen von verschie­denen Hirntu­moren mit beispiel­loser Präzision charak­te­ri­sieren. Damit liefern sie wichtige Grund­lagen für künftige Immuntherapien.
Foto: Ursula Meisser, Univer­sität Zürich

Die Entfernung eines bösar­tigen Tumors im Gehirn gleicht einer Gratwan­derung: Einer­seits gilt es, möglichst viel Tumor­gewebe zu entfernen, anderer­seits muss gleich­zeitig gesundes Gewebe verschont werden. Da die Krebs­zellen das gesunde Hirngewebe infil­trieren, lassen sie sich durch eine Operation in der Regel nicht vollständig entfernen. Zwar verbessert eine möglichst grosse Tumor­ent­fernung mit anschlie­ßender Strahlen- und Chemo­the­rapie die Prognose deutlich, doch eine dauer­hafte Heilung ist mit den herkömm­lichen Thera­pie­an­sätzen nur in seltenen Fällen möglich.

Immun­the­rapien als Hoffnungsträger

Ein Team von Forschenden der Univer­sität Zürich (UZH) und des Univer­si­täts­spitals Zürich (USZ) hat nun erstmals ermittelt, welche Typen von Immun­zellen in welcher Anzahl in verschie­denen Arten bösar­tiger Hirntumore vorhanden sind. Diese sehr präzisen «Tumor­karten» sind wesentlich, um die indivi­du­ellen Immun­kom­po­nenten im Tumor besser zu verstehen, und um gezielt wirkende Immun­the­rapien zu entwi­ckeln die die Abwehr­re­aktion anregen.

«Unser Immun­system arbeitet mit größter Präzision und Effek­ti­vität. Die Abwehr­zellen können einzelne Tumor­zellen elimi­nieren, während gesunde Zellen verschont bleiben», erklärt Burkhard Becher vom Institut für experi­men­telle Immuno­logie der Univer­sität Zürich. Immun­the­rapien zeigen bei einigen Krebs­arten erstaun­liche Erfolge – bei bösar­tigen Hirntu­moren funktio­nieren sie bisher aber deutlich schlechter. Denn bislang war unklar, wie das Tumor­gewebe von Hirntu­moren zusam­men­ge­setzt ist. Dieses Mikro­milieu umfasst neben den Krebs­zellen auch Gefäß‑, Binde­gewebs- und vor allem Zellen des Immunsystems.

Massen­zy­to­metrie und Computeralgorithmen

Für die Charak­te­ri­sierung der Immun­zellen in bösar­tigen Hirntu­moren analy­sierten die Forschenden Gewebe aus dem neuro­chir­ur­gi­schen Opera­ti­onssaal des USZ mit einer an der UZH etablierten Methode: der sogenannten hochdi­men­sio­nalen Massen­zy­to­metrie. Diese Techno­logie ermög­licht es, Millionen von unter­schied­lichen Zelltypen gleich­zeitig auf Stufe von Einzel­zellen darzu­stellen. Charak­te­ri­siert werden die Zellen anhand von zahlreichen Eiweißen auf ihrer Oberfläche und im Zellinnern, die je nach Zelltyp variieren. Die riesige Daten­menge wird anschließend mit komplexen, selbst­ler­nenden Compu­ter­al­go­rithmen verar­beitet. «Für jeden Hirntumor entsteht mit unserer Techno­logie eine indivi­duelle Signatur der vorhan­denen Immun­zellen. Ähnlich­keiten und Unter­schiede zwischen Patienten und Tumor­arten können so mitein­ander verglichen werden», sagt Letzt­autor Becher.

Das Mikro­milieu eines Hirntumors umfasst neben den Krebs­zellen auch Gefäß‑, Binde­gewebs- und vor allem Zellen des Immun­systems. Quelle: Univer­sität Zürich
Tumorart prägt Zusammensetzung

Die Studie zeigt, dass vor allem die Tumorart dafür verant­wortlich ist, welche Typen von Immun­zellen mit welcher Häufigkeit und Verteilung in indivi­du­ellen Hirntu­moren vorhanden sind. «Gliome, die sich direkt im Gehirn entwi­ckeln, sehen anders aus als Metastasen – Ableger anderer Tumore im Körper, die ins Gehirn einwandern. Auch bei Gliomen konnten wir verschiedene Unter­gruppen anhand der spezi­fi­schen Zusam­men­setzung der Immun­zellen klar vonein­ander unter­scheiden», ergänzen die betei­ligten Dokto­ran­dinnen Ekaterina Friebel und Konstantina Kapolou.

Die Ergeb­nisse helfen nicht nur, die immuno­lo­gi­schen Mecha­nismen in Hirntu­moren besser zu verstehen, erklärt Marian Christoph Neidert, Neuro­chirurg am USZ: «Sie bieten eine Grundlage dafür, maßge­schnei­derte Immun­the­ra­pie­an­sätze für die verschie­denen Tumor­arten im Gehirn zu entwi­ckeln». Aller­dings sind noch weitere Forschungs­ar­beiten nötig, bis Hirntu­mor­pa­ti­enten von den immuno­lo­gi­schen Erkennt­nissen profi­tieren können.

Literatur: Ekaterina Friebel, Konstantina Kapolou et all: Single-cell mapping of human brain cancer reveals tumor-specific instruction of tissue invading leuko­cytes. Cell, 25.6.2020. DOI: 10.1016/j.cell.2020.04.055

Textquelle: Melanie Nyfeler, Univer­sität Zürich

Bildquelle: Ursula Meisser, Univer­sität Zürich