Tauziehen in der Zelle verhindert Vergiftung

Tauziehen in der Zelle verhindert Vergiftung

Zellbe­stand­teile liefern sich ein Tauziehen um Proteine, um die Vergiftung der Zelle zu verhindern. So lässt sich zusam­men­fassen, was Wissen­schaftler um den Marburger Genetiker Professor Dr. Michael Bölker und seinen Mitar­beiter Dr. Johannes Freitag heraus­ge­funden haben, indem sie den Trans­portweg des Proteins Ptc5 verfolgten. Das Forschungsteam berichtet über seine Ergeb­nisse in der Wissen­schafts­zeit­schrift „Nature Communications“.

Das Innere der Zellen von Pflanzen und Tieren – samt Menschen – besteht aus zahlreichen Organellen, das sind umhüllte Reakti­ons­räume für bestimmte Aufgaben, zum Beispiel Chloro­plasten für die Photo­syn­these oder Mitochon­drien für die Umwandlung von Energie; die Organellen sind von zähflüs­sigem Zytosol umgeben. „Die Zellen können nur überleben und ihre Aufgaben erfüllen, wenn die Proteine korrekt auf die Organellen verteilt sind“, sagt der Biologe Thorsten Stehlik, der seine Doktor­arbeit in der Arbeits­gruppe von Michael Bölker angefertigt hat und als Erstautor des Fachar­tikels firmiert.

Damit die Proteine an den richtigen Zielort gelangen, tragen sie spezielle Abschnitte, die sie als Bestandteil des einen oder anderen Organells ausweisen, beispiels­weise Trans­port­si­gnale – sie wirken wie Gepäck­an­hänger, die man Koffern auf Flugreisen anheftet. Das Wissen­schaft­lerteam unter­suchte in Hefezellen das Protein Ptc5, das gleich zwei solcher Abschnitte enthält: Der eine weist es als Bestandteil der Mitochon­drien aus; der andere dient dem Transport zu einem weiteren Typ von Organellen, nämlich den Peroxi­somen, die am Abbau von Fettsäuren beteiligt sind.

Die Forscher stellten fest: Das Protein liegt tatsächlich in beiden Organellen vor. In den Mitochon­drien sitzt der Vorläufer von Ptc5 in der inneren Membran fest. Ein mitochon­driales Enzym schneidet den äußeren Teil frei. „Diese Bearbeitung des Prote­in­vor­läufers ist die Voraus­setzung dafür, dass das Produkt zu den Peroxi­somen trans­por­tiert wird“, erklärt Mitver­fasser Johannes Freitag.

Die Autoren sprechen von einer Art moleku­larem Tauziehen zwischen Mitochon­drium und dem direkt daneben liegenden Peroxisom. Doch wozu nimmt das Protein den Umweg über Mitochon­drien, um in die Peroxi­somen zu gelangen? „Der biolo­gische Sinn dieses Umwegs liegt offenbar darin, dass das Protein wie ein Zellgift wirkt, wenn es im Zytosol aktiv wird“, erläutert Michael Bölker, der die Forschungs­ar­beiten leitete.

Tatsächlich wiesen die Forscher nach, dass die Zellen sich kaum vermehren, wenn Ptc5 im Zytosol landet, statt in die Peroxi­somen zu gelangen: Wird das Protein nicht an einem Ende festge­halten, so faltet es sich in seine aktive Form, die außerhalb des Organells Schaden anrichtet. Die Ergeb­nisse erlauben Einblicke in die Mecha­nismen, die Organellen in der Zelle mitein­ander in Kontakt bringen.

Origi­nal­ver­öf­fent­li­chung: Thorsten Stehlik & al.: Peroxi­somal targeting of a protein phosphatase type 2C via mitochon­drial transit, Nature Commu­ni­ca­tions 2020, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-020–16146‑3

Textquelle: Johannes Scholten, Philipps-Univer­sität Marburg

Fotoquelle: Ein Protein, zwei Einsatzorte (rechtes Bild): Wie Leucht­farb­stoffe sichtbar machen, befindet sich das Protein Ptc5 (magenta) nicht bloß in den Mitochon­drien von Hefezellen (gestri­chelt umrandet), sondern auch in den Peroxi­somen, wo die Fluoreszenz durch Überla­gerung weiß erscheint. Entfernt man das peroxi­somale Trans­port­signal aus dem Protein, gelangt dieses nicht in das Organell (links). Foto: Autoren / Philipps-Univer­sität Marburg