Sepsis-Früherkennung per Biomarker

Sepsis-Früherkennung per Biomarker

Grazer Forschende entwi­ckeln eine bahnbre­chende Methode, mit der eine Sepsis mittels Biomarkern bereits zwei bis drei Tage vor Auftreten erster klini­scher Symptome erkannt wird. Dies kann die Überle­bens­chance bei Blutver­gif­tungen durch Bakterien oder Pilze maßgeblich erhöhen.

Gene aktivieren oder still­legen, defekte Zellen abbauen, neues Gewebe aufbauen: Unser Körper arbeitet ständig daran, sich selbst zu reparieren, auch im Krank­heitsfall. Um eine Krankheit zu bekämpfen, sendet unser Körper Signale aus, oft lange bevor wir selbst die Krankheit bemerken. Solche Signale sind beispiels­weise DNA-Moleküle, die aus körper­ei­genen Zellen freige­setzt werden, im Blut zirku­lieren und von anderen Zellen als Botschaft zur Stimu­lierung einer Abwehr­re­aktion erkannt werden.

Forschende des Instituts für Compu­ta­tional Biotech­nology der TU Graz haben sich diese Boten, sogenannte Biomarker, zu eigen gemacht und gemeinsam mit Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftlern des Austrian Centre of Indus­trial Biotech­nology (acib), der Medizi­ni­schen Univer­sität Graz und der CNA Diagno­stics GmbH (Grambach, Steiermark) eine bahnbre­chende Methode entwi­ckelt: Anhand dieser körper­ei­genen Signale (Biomarker) kann eine Sepsis bereits zwei bis drei Tage vor Auftreten der ersten klini­schen Symptome mit hoher Genau­igkeit diagnos­ti­ziert werden.

Die Methode kann die Überle­bens­chance von Sepsis-Patien­tinnen und –Patienten maßgeblich erhöhen. Details dazu haben die Forschenden nun in den zwei Arbeiten „Evaluation of host-based molecular markers for the early detection of human sepsis“ und „Circu­lating cell-free DNA is predo­mi­nantly composed of retro­trans­posable elements and non-telomeric satellite DNA“ im Journal of Biotech­nology (Elsevier) veröffentlicht.

Der Grazer Forscher Christoph Sensen sucht nach Biomarkern, mit denen sich frühe Stadien von chroni­schen oder infek­tiösen Krank­heiten diagnos­ti­zieren lassen. Foto: Lunghammer, TU Graz
Klassi­fi­zie­rungs­al­go­rithmen dienen als Grundlage

„Unser Team hat 24 Biomarker identi­fi­ziert, mit welchen eine bakte­rielle oder durch Pilze hervor­ge­rufene Sepsis mittels Klassi­fi­zie­rungs­al­go­rithmen in einem früheren Stadium als bisher nachge­wiesen werden können“, erklärt der Leiter des Instituts für Compu­ta­tional Biotech­nology der TU Graz, Christoph W. Sensen.

Für ihre Arbeit nutzten die Bioin­for­ma­ti­ke­rinnen und ‑infor­ma­tiker anony­mi­sierte Plasma­proben, die von den Arbeits­gruppen um Robert Krause, dem Co-Direktor von BioTechMed-Graz, und Peter Neumeister an der Uni Graz zur Verfügung gestellt wurden. Die Proben stammten von Personen, bei denen eine Sepsis durch Bakterien oder Pilze mit Nachweis dieser Erreger im Blut, eine Influenza (eine Erkrankung mit teils Sepsis-ähnlichen Symptomen) oder ein Lymphom diagnos­ti­ziert wurde, sowie von gesunden Personen. Sie bildeten die Grundlage für die Entwicklung jener Algorithmen, mit denen die Marker schluss­endlich identi­fi­ziert und ein beispiel­loser Marker-Satz entwi­ckelt werden konnte. „Dieser Datensatz kann Personen im frühen Sepsis-Stadium und solche mit ersten klini­schen Anzeichen von gesunden Personen und von Personen mit anderen Krank­heiten unter­scheiden.“ Sensen führt weiter aus: „Innerhalb der Patien­ten­gruppe, für die die Marker entwi­ckelt wurden, betrug die Diagno­se­ge­nau­igkeit knapp 90 Prozent im Zeitraum von zwei Tagen vor den ersten klini­schen Anzeichen bis zwei Tagen nach der Diagnose mit den Standard­me­thoden. In Blind­studien mit Patien­ten­gruppen, die nicht in die Marker­ent­wicklung einbe­zogen wurden, betrug die Genau­igkeit bis zu 81 Prozent.“ Mit Hilfe dieser Methode kann eine Sepsis also wesentlich früher diagnos­ti­ziert werden, als mit jeder anderen Methode.

Wirts­ba­siertes Testver­fahren, Zulas­sungs­ver­fahren läuft bereits

Die Forschenden entwi­ckelten im Zuge ihrer Studien auch eine neue Form eines quanti­ta­tiven Echtzeit-PCR-Tests. PCR steht für Polymerase-Ketten­re­aktion, ein Verfahren zur Verviel­fäl­tigung von Nukle­in­säure. PCR-basierte Tests sind am Markt schon jetzt erhältlich. Mit ihnen wird die DNA oder RNA eines Infek­ti­ons­er­regers in einer Blut‑, Plasma- oder Serum­probe verviel­fältigt, wodurch sich Bakterien oder Pilze direkt nachweisen lassen. Angesichts der Vielzahl möglicher Erreger­spezies ist dies aller­dings nur sehr einge­schränkt möglich und daher sehr ungenau. Der neu entwi­ckelte Test der Grazer Gruppe konzen­triert sich hingegen auf die körper­ei­genen Signale: Diese sind um einiges genauer und früher messbar, als es der direkte Nachweis von Erregern erlaubt.

Für das Verfahren ist bereits bei der U. S. Food and Drug Adminis­tration (FDA) in Washington eine Zulassung für die Verei­nigten Staaten beantragt worden. Die Arbeiten für die Zulassung in Europa werden gerade aufge­nommen. Christoph W. Sensen hofft, dass die Tests bald großflächig zum Einsatz kommen. „Aller­dings bringt die Corona-Pandemie unseren Zeitplan etwas ins Wanken, da die US-ameri­ka­ni­schen Kranken­häuser in der derzei­tigen Situation natürlich eine Zeit lang keine Plasma­proben liefern können.“

Weitere Plasma­proben gesucht

Mittler­weile gibt es Daten aus China, die belegen, dass auch Covid-19-Erkrankte mit schwerem Krank­heits­verlauf im Endstadium häufig eine Sepsis als Sekun­där­erkrankung aufwiesen. Umso mehr sind Sensen und sein Team an einer Zusam­men­arbeit mit Biobanken wie BBMRI-ERIC und Kranken­häusern inter­es­siert, die den Forschenden Plasma­proben von Covid-19-Patien­tinnen und ‑Patienten zur Verfügung stellen können. Denn, so Sensen: „Basierend auf dem Forschungs­pro­gramm zur Sepsis-Früherkennung könnten wir damit diagnos­tische Werkzeuge für die schnellere Identi­fi­zierung von Hochrisiko-Patienten und eine Strategie für ein frühzei­tiges Eingreifen bei den ersten Anzeichen von Sepsis entwi­ckeln, die bei zukünf­tigen Pandemien einge­setzt werden können, um die Folgen der Infektion für die Betrof­fenen zu verringern.“

Textquelle: Christoph Pelzl, Technische Univer­sität Graz

Bildquelle 1 (Titel): Mit seinem Team identi­fi­zierte Christoph Sensen vom Institut für Compu­ta­tional Biotech­nology der TU Graz (rechts) 24 Biomarker, mit denen eine Sepsis früher als bisher nachge­wiesen werden kann. Foto: Lunghammer, TU Graz

Bildquelle 2 (Personal): Der Grazer Forscher Christoph Sensen sucht nach Biomarkern, mit denen sich frühe Stadien von chroni­schen oder infek­tiösen Krank­heiten diagnos­ti­zieren lassen. Foto: Lunghammer, TU Graz