Schutz­protein wehrt Harnwegs­in­fekte ab

In größerem Maßstab wird sichtbar, wie die Uromo­dulin-Filamente (blau) ein E.coli-Bakterium einhüllen und so verhindern, dass der Erreger mit seinen Pili an die Zellwände im Harntrakt andocken. Foto: Dawid Zyla, ETH Zürich

Schutz­protein wehrt Harnwegs­in­fekte ab

Manche Menschen sind gegen Harnwegs­in­fekte besser geschützt als andere, weil ihr Körper mögli­cher­weise höhere Mengen des Proteins Uromo­dulin herstellt. Wie der Helfer in der Notdurft funktio­niert und was sich daraus für die Behandlung und Prävention der schmerz­haften Entzün­dungen ableiten lässt, hat nun ein inter­dis­zi­pli­näres Forschungsteam herausgefunden.

Wer schon einmal eine Blasen­ent­zündung durch­machen musste, weiß es: Solche Harnwegs­in­fekte sind lästig und schmerzhaft. Sie lassen sich zwar meist gut mit Antibiotika behandeln. Unbehandelt können sie aber auch tödlich verlaufen. Urheber der Infek­tionen sind meist sogenannte uropa­thogene E. coli-Bakterien. Sie binden mit ihren faden­för­migen Fortsätzen, den Pili, an die Zellen von Blase, Harnleiter oder Harnröhre und setzen so die Infektion in Gang. Einen Schutz dagegen bietet ein bestimmtes körper­ei­genes Protein, das Uromo­dulin: Rund 70 Prozent aller Menschen tragen in ihrem Erbgut eine Uromo­dulin-Genva­riante, die dazu führt, dass sie dieses Schutz­protein in besonders großen Mengen produ­zieren. Dementspre­chend haben sie ein kleineres Risiko, Harnwegs­in­fekte zuzuziehen.

Doch wie genau das Uromo­dulin Entzün­dungen verhindert, wusste man nicht. Das hat nun ein inter­dis­zi­pli­näres Team aus drei Forschungs­gruppen der ETH Zürich zusammen mit Forschenden der Univer­sität Zürich und des Kinder­spitals Zürich heraus­ge­funden: Die Wissen­schaftler haben unter­sucht, wie das Uromo­dulin aussieht und mit welchen Mitteln es die uropa­tho­genen E. coli neutra­li­siert. Ihre Erkennt­nisse wurden im Fachma­gazin »Science« publi­ziert und dürften künftig helfen, neue Strategien zur Behandlung von Harnwegs­in­fekten zu entwickeln.

Detail­lierter Blick in die Funktionsweise

Zunächst haben die Forschenden auf moleku­larer Ebene analy­siert, wie das Protein an die Bakterien-Pili bindet. »Zwar wusste man schon vorher, dass eine Bindung statt­findet und dass dies wohl zur Schutz­funktion beiträgt, doch Näheres war nicht bekannt«, sagt Gregor Weiss, Doktorand an der ETH und einer der Erstau­toren der Studie. Die bioche­mi­schen Unter­su­chungen zeigten nun, dass die Bakterien-Pili bestimmte Zucker­ketten auf der Oberfläche des Uromo­dulins erkennen und extrem spezi­fisch und stark an diese binden.

Als nächstes unter­suchte das Team das Uromo­dulin mittels Kryo-Elektro­nen­to­mo­grafie. Dabei werden die dreidi­men­sio­nalen Struk­turen von Proteinen und Zellen sichtbar, ohne dass man sie dafür chemisch verändern oder entwässern muss. Sie erkannten, dass das Uromo­dulin lange Filamente bildet. Diese bestehen durch­schnittlich aus rund 400 einzelnen, anein­an­der­ge­reihten Prote­in­mo­le­külen. Und jedes Glied dieser Prote­in­kette enthält das charak­te­ris­tische Muster aus Zucker­ketten, an das Bakterien-Pili gerne binden.

Fruchtbare Zusam­men­arbeit

Was diese Eigen­schaften in größerem Maßstab bewirken, schaute sich das Team wiederum mittels Kryo-Elektro­nen­to­mo­grafie an, diesmal jedoch im Beisein der Misse­täter, der uropa­tho­genen E. coli-Bakterien. Es zeigte sich, dass die Uromo­dulin-Filamente die Pili der Erreger regel­recht umhüllen. Dabei kann ein einzelnes Uromo­dulin-Filament an mehrere Pili eines Bakte­riums andocken. »Das neutra­li­siert die Erreger«, erklärt Gregor Weiss. »Derart abgeschirmt können die Bakterien nicht mehr an die Zellen im Harntrakt binden und darum keine Infektion auslösen.« Im Licht­mi­kroskop erkannte das Team außerdem, dass sich große Klumpen aus hunderten von Uromo­dulin-Filamenten und E. coli-Zellen bilden, die dann vermutlich einfach mit dem Urin ausge­schieden werden.

Schließlich überprüften die Forschenden, ob all diese im Labor beobach­teten Prozesse auch in Patienten ablaufen. Dazu analy­sierten sie Urin-Proben von infizierten Patienten, die ihnen das Kinder­spital Zürich zur Verfügung gestellt hatte, und fanden genau die gleichen Inter­ak­tionen zwischen dem Uromo­dulin und den Erregern. »Ohne die inter­dis­zi­plinäre Zusam­men­arbeit zwischen verschie­denen Forschungs­gruppen und Insti­tuten wäre es unmöglich gewesen, diese gesam­melten Erkennt­nisse zu gewinnen«, betont Professor Martin Pilhofer, der die Elektro­nen­to­mo­grafie-Unter­su­chungen geleitet hat.

Hinweis für Behandlung und Wirkstoffentwicklung

Aus der Arbeit des Forschungs­teams ergeben sich Hinweise für eine Antibiotika-freie Behandlung und Prävention von Harnwegs­in­fekten. Bisher bekommen Patienten und Patien­tinnen dazu häufig Präparate, die den Zucker Mannose enthalten. Diese verhindern zu einem gewissen Grad, dass sich die E. coli-Bakterien an den Zellen des Harntraktes festsetzen. »Durch unsere Analysen wissen wir nun, dass die Bakterien mit ihren Pili neben der Mannose auch andere Zucker auf dem Uromo­dulin erkennen«, sagt Dokto­randin Jessica Stanisich, eine weitere Erstau­torin der Studie. »Das könnte darauf hinweisen, dass eine Behandlung mit kombi­nierten Zucker­prä­pa­raten wirksamer wäre.«

Die neuen Resultate helfen zudem bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe, ergänzt Professor Rudi Glocks­huber. Denn die uropa­tho­genen E. coli heften sich bei einer Infektion im Harntrakt an dieselben Zucker­ketten auf den dortigen Zellober­flächen wie beim Uromo­dulin. Darum versuchen Pharma­firmen, genau diese Inter­ak­tionen mit neuen Wirkstoffen zu verhindern – aller­dings mit dem Risiko, dass dabei auch die Bindung des schüt­zenden Uromo­dulins an die Bakterien gestört wird. »Das wäre natürlich ein höchst unerwünschter Neben­effekt, wenn man mit einem Medikament gleich­zeitig eine natür­liche Schutz­funktion behindern würde«, sagt Glocks­huber. Durch die Analysen des Forschungs­teams ist nun aber klar, dass die Zusam­men­schlüsse aus Bakterien und Uromo­dulin extrem stabil sind und sich auch durch Wirkstoffe nicht mehr aufbrechen lassen – eine wichtige Erkenntnis für die Suche nach Mitteln gegen die leidigen Harnwegsinfekte.

Origi­nal­pu­bli­kation: Weiss GL, Stanisich JJ, Sauer MM, Lin C, Eras J, Zyla DS, Trück J, Devuyst O, Aebi M, Pilhofer M and Glocks­huber R. Archi­tecture and function of human uromo­dulin filaments in urinary tract infec­tions. Science (2020). Online publi­ziert 2. Juli 2020. DOI: 10.1126/science.aaz9866

Textquelle: Peter Rüegg, Eidge­nös­sische Technische Hochschule Zürich

Bildquelle: In größerem Maßstab wird sichtbar, wie die Uromo­dulin-Filamente (blau) ein E.coli-Bakterium einhüllen und so verhindern, dass der Erreger mit seinen Pili an die Zellwände im Harntrakt andocken. Foto: Dawid Zyla, ETH Zürich