Problem in Europa: Neuro­lo­gische Erkrankungen

Im Jahre 2017 litten in der EU 307 Mio. Menschen an mindestens einer neuro­lo­gi­schen Erkrankung. Dies entspricht 60 Prozent der Bevöl­kerung (512,4 Mio.). – Dr. Wesley Reynolds studiert den Compu­ter­to­mo­graphen eines Patienten. Foto: U.S. Air Force, Lizenz: Gemeinfrei

Problem in Europa: Neuro­lo­gische Erkrankungen

Neuro­lo­gische Erkran­kungen stellen in der EU die dritt­häu­figste Ursache von Behin­de­rungen und vorzei­tigen Todes­fällen dar. In Europa und auch in Deutschland sind fast 60 Prozent der Bevöl­kerung von einer neuro­lo­gi­schen Erkrankung betroffen. Die Prävalenz wird wahrscheinlich mit der fortschrei­tenden Alterung der Gesell­schaft weiter zunehmen. Die Deutsche Gesell­schaft für Neuro­logie (DGN) fordert von der Gesund­heits­po­litik, die Versor­gungs­struk­turen entspre­chend zu stärken und Präven­ti­ons­pro­gramme auf den Weg zu bringen. Denn die Zahlen zeigen auch, dass eine gute neuro­lo­gische Versorgung wirksam ist und die Zahl der verlo­renen Lebens­jahre für jeden einzelnen Patienten reduzieren kann.

Neuro­lo­gische Erkran­kungen haben einen großen und zuneh­menden Anteil an der weltweiten Gesund­heitslast, dies zeigte die GBD (»Global Burden of Diseases«)-Studie bereits 2016. Die Aufschlüs­selung der Daten, inwieweit diese Last national und regional variiert, ist notwendig, um die Gesund­heits­po­litik auf drohende Entwick­lungen aufmerksam zu machen, Versor­gungs­struk­turen auszu­bauen und mit Präven­ti­ons­stra­tegien dagegen anzuarbeiten.

Die Bevöl­kerung der EU ist älter als die anderer Regionen und somit auch generell vulnerabler. In der am Mittwoch publi­zierten Studie in »Lancet Public Health« wurde die neuro­lo­gische Krank­heitslast in der EU mit der von ganz Europa und der Welt verglichen. Die Studie wurde von der »European Academy of Neurology« (EAN) beauf­tragt. Die Krank­heitslast wird durch Inzidenz, Prävalenz, Morta­lität und durch Behin­derung verlorene Lebens­jahre (DALYs/»disability-adjusted life-years«, diese Maßzahl addiert die durch Morta­lität verlo­renen Krank­heits­jahre und die Jahre mit krank­heits­be­dingt vermin­derter Lebens­qua­lität) angegeben. Analy­sierte Erkran­kungen waren M. Alzheimer und andere Demenz­formen, Epilepsien, Kopfschmerzen (Migräne und Spannungs-kopfschmerz), Multiple Sklerose, M. Parkinson, maligne Hirntu­moren, Motoneu­ro­n­er­kran­kungen (z. B. Amyotrophe Lateralsklerose/ALS), Infek­tionen des Nerven­systems und Schlaganfälle.

Im Jahre 2017 litten in der EU 307 Mio. Menschen an mindestens einer neuro­lo­gi­schen Erkrankung. Dies entspricht 60 Prozent der Bevöl­kerung (512,4 Mio.). Die Gesamtzahl der DALYs, die auf das Konto neuro­lo­gi­scher Leiden gehen, liegt bei 21 Millionen in der EU und bei 41,1 Millionen im gesamten europäi­schen WHO-Gebiet (dieses Gebiet umfasst viel mehr Länder als das EU-Gebiet, daher ist die absolute Zahl höher https://www.euro.who.int/de/countries ). Insgesamt verstarben in der EU 1,1 Million Menschen an neuro­lo­gi­schen Erkran­kungen und 1,97 Millionen im Europäi­schen WHO-Gebiet. Damit stehen in der Statistik neuro­lo­gische Erkran­kungen an dritter Stelle nach kardio­vas­ku­lären Erkran­kungen und Krebs­er­kran­kungen; sie machen in der EU 13,3 Prozent aller DALYs und 19,5 Prozent der Gesamt­to­des­fälle aus. In der EU waren die drei häufigsten DALY-Ursachen Schlag­an­fälle, Demenz und Kopfschmerzen. Die Krank­heitslast durch neuro­lo­gische Erkran­kungen war in Europa bei Männern größer als bei Frauen; der Alters­gipfel lag bei 80–84 Jahren – und sie variierte im Europäi­schen WHO-Gebiet und in den Ländern erheblich.

»Die Prävalenz neuro­lo­gi­scher Erkran­kungen ist hoch – die hohe Zahl hat uns selbst überrascht – und sie wird aufgrund des demogra­fi­schen Wandels weiter ansteigen«, erklärt Studi­en­autor Prof. Dr. Günther Deuschl, Senior­pro­fessor an der Univer­sität Kiel. »Wir können an der Studie zahlreiche Trends erkennen: Einige Krank­heiten nehmen ab, wie etwa die Hirnent­zün­dungen, aber die sowieso schon häufigen Erkran­kungen (z.B. Schlag­anfall, M. Alzheimer, M. Parkinson) nehmen quanti­tativ zu. Bemer­kenswert ist, dass die Krank­heitslast für den Einzel­pa­ti­enten für einige Erkran­kungen aber abnimmt.« Das beste Beispiel ist der Schlag­anfall (Zeitraum: 1990–2017): In der EU ist es zu einer Reduktion der DALYs für den Einzel­pa­ti­enten um 54 Prozent gekommen. Dies dürfte v.a. durch verbes­serte Prävention und durch Fortschritte der neuro­lo­gi­schen Therapien (Stroke Units) bedingt sein. Die Patien­tenzahl ist aber wegen der Zunahme älterer Menschen um 25 Prozent gewachsen. »Die Daten legen nahe, dass neuro­lo­gische Versorgung und Prävention wirksam sind und stellen ein klares Signal dafür da, für alle neuro­lo­gi­schen Erkran­kungen bessere Krank­heits­ver­sorgung und Forschung zu etablieren«, so Deuschl.

»Die Prävalenz neuro­lo­gi­scher Erkran­kungen wird aufgrund der Verän­de­rungen der Alters­struktur in Deutschland und Europa weiter zunehmen – darauf müssen wir uns einstellen. Die Versor­gungs­struk­turen müssen daher entspre­chend ausgebaut und die Forschung gestärkt werden«, so das Fazit von Prof. Dr. Peter Berlit, General­se­kretär der DGN, aus den aktuellen Daten. »Da die Erkran­kungs­zahlen weiter steigen, ist es von besonders hoher Bedeutung, gemeinsam mit den Gesund­heits­be­hörden effektive Präven­ti­ons­pro­gramme auf den Weg zu bringen. Dem trägt die DGN mit einer spezi­ellem Kommission zu dieser Thematik Rechnung«.

[1] Deuschl G, Beghi E, Fazekas F et al. The burden of neuro­lo­gical diseases in Europe: an analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet Public Health 2020; 5: e551–67

Origi­nal­pu­bli­kation:

DOI:https://doi.org/10.1016/S2468-2667(20)30190–0

Textquelle: Dr. Bettina Albers, Deutsche Gesell­schaft für Neuro­logie e.V.

Bildquelle: Im Jahre 2017 litten in der EU 307 Mio. Menschen an mindestens einer neuro­lo­gi­schen Erkrankung. Dies entspricht 60 Prozent der Bevöl­kerung (512,4 Mio.). – Dr. Wesley Reynolds studiert den Compu­ter­to­mo­graphen eines Patienten. Foto: U.S. Air Force, Lizenz: Gemeinfrei