Neuer Mecha­nismus der Krebs­ent­stehung entdeckt

Neuer Mecha­nismus der Krebs­ent­stehung entdeckt

Das Harnbla­sen­kar­zinom ist eine häufige Krebsart in Deutschland und anderen Indus­trie­ländern. Für fortge­schrittene Tumore gibt es kaum wirksame Medika­mente und auch frühzeitig chirur­gisch entfernter Krebs kehrt oft an anderen Stellen der Harnblase wieder. Als molekulare Ursache von Blasen­krebs wurden kürzlich Mutationen im Erbgut entdeckt, die bestimmte Regula­tor­pro­teine inakti­vieren, welche für die stabile Ausdif­fe­ren­zierung der Zellen verant­wortlich sind. Im Rahmen eines von der Wilhelm Sander-Stiftung geför­derten Forschungs­pro­jektes haben Wissen­schaftler des Univer­si­täts­kli­nikums Düsseldorf nun unter­sucht, wie die Inakti­vierung solcher Proteine zur Bildung von Harnbla­sen­tu­moren beiträgt.

Die Behandlung des in Deutschland und anderen Indus­trie­ländern häufig diagnos­ti­zierten Harnbla­sen­kar­zinoms wird dadurch erschwert, dass für fortge­schrittene Tumore kaum wirksame Medika­mente zur Verfügung stehen und selbst Tumore früher Stadien zwar chirur­gisch entfernt werden können, jedoch sehr häufig an anderen Stellen der Harnblase wieder­kehren. Ursächlich für die Entstehung des Harnbla­sen­kar­zinoms sind schon länger bekannte Störungen in verschie­denen zellu­lären Kontroll­sys­temen, besonders in der Regulation des Zellzyklus. Bei der syste­ma­ti­schen Unter­su­chung der geneti­schen Verän­de­rungen in den letzten Jahren wurde zudem beobachtet, dass fast alle Harnbla­sen­kar­zinome Mutationen aufweisen, die epige­ne­tische Regula­tor­pro­teine inakti­vieren, am häufigsten die Proteine UTX und MLL2. Allgemein ermög­lichen epige­ne­tische Regula­ti­ons­pro­zesse die Entstehung von ganz unter­schied­lichen Zellarten, beispiels­weise Leber- oder Harnbla­sen­zellen, obwohl deren Erbgut identisch ist. Speziell die beiden epige­ne­ti­schen Regula­toren UTX und MLL2 wirken gewöhnlich zusammen, um bei der Diffe­ren­zierung von Zellen aus Stamm­zellen den neuen Aktivi­täts­zu­stand des Genoms stabil einzustellen.

Die Inakti­vierung des Regula­tor­pro­teins UTX in normalen Urothel­zellen kann über die Anrei­cherung von Stamm­zellen, nachge­wiesen über den Marker KRT 14, die Entstehung von Harnbla­sen­tu­moren fördern. Norma­ler­weise weisen nur etwa 15 Prozent aller Urothel­zellen den Stamm­zell­marker KRT14 auf (in den mikro­sko­pi­schen Aufnahmen rot gefärbt; alle Zellen sind mit Phalloidin grün gefärbt); diese Zellen sind zudem kleiner. Nach Herab­re­gu­lation von UTX mittels sogenannter small inter­fering RNA (siRNA) steigt ihr Anteil nach 4 Tagen bis auf 80 Prozent (untere Grafik). siRNA sind kleine RNA-Moleküle, mit denen sich die Expression bestimmter Gene im Experiment vorüber­gehend ausschalten lässt. Bildrechte: A. Lang, W. A. Schulz et. al. 

Wie die Inakti­vierung solcher Regula­tor­pro­teine zur Bildung von Harnbla­sen­kar­zi­nomen beiträgt, war bislang jedoch unbekannt.

In einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geför­derten Forschungs­projekt hat die Arbeits­gruppe um Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang A. Schulz vom Forschungs­labor Urologie der Urolo­gi­schen Klinik am Univer­si­täts­kli­nikum Düsseldorf diese Frage nun am Beispiel des Regula­tor­pro­teins UTX unter­sucht. Die Wissen­schaftler stellten zunächst fest, dass die Inakti­vierung oder Wieder­ein­führung von UTX in etablierten Tumor­zellen deren Vermehrung erstaunlich wenig beein­flusste. Dies führte sie zu der Annahme, dass die Inakti­vierung von UTX vor allem in der Anfangs­phase zur Tumor­ent­stehung beitragen müsste. Daher unter­suchten sie im zweiten Schritt die Auswir­kungen der Inakti­vierung von UTX in normalen Harnbla­sen­zellen (Urothel­zellen). Wie die Forscher nun in ihrer am 21. April 2020 erschie­nenen Publi­kation in der renom­mierten Fachzeit­schrift Cancers (Lang et al. Cancers 12(4): 1023, 2020) detail­liert zeigen konnten, führt diese Inakti­vierung von UTX zum Untergang diffe­ren­zier­terer Urothel­zellen und mithin zur Anrei­cherung von Stamm­zellen, die sich über den Stamm­zell­marker Zytoke­ratin 14 (KRT 14) spezi­fisch nachweisen lässt (siehe Abbildung).

Die Ergeb­nisse der Düssel­dorfer Forscher legen ein neues Modell zur Entstehung von Harnbla­sen­kar­zi­nomen nahe. Demnach führt die Inakti­vierung epige­ne­ti­scher Regula­tor­pro­teine wie UTX zur Expansion von Stamm­zellen mit verän­dertem epige­ne­ti­schem Zustand in der Harnblase. Kommen weitere geneti­schen Verän­de­rungen hinzu – beispiels­weise im Tumor­sup­pressor p53, der eine der wichtigsten Kontroll­in­stanzen für das Zellwachstum darstellt – können sich daraus Tumore entwi­ckeln. Eine Expansion verän­derter Stamm­zellen in der Harnblase würde insbe­sondere erklären, warum nach einer chirur­gi­schen Entfernung immer wieder neue Tumoren an anderen Stellen auftreten.

Origi­nal­pu­bli­kation: Lang A, Whongsiri P, Yilmaz M, Lautwein T, Petzsch P, Greife A, Günes C, Köhrer K, Niegisch G, Hoffmann M, Schulz WA. Knockdown of UTX/KDM6A Enriches Precursor Cell Popula­tions in Urothelial Cell Cultures and Cell Lines. Cancers (Basel). 2020 Apr 21;12(4). pii: E1023. doi: 10.3390/cancers12041023.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/32326336

Textquelle: Henrike Boden, Wilhelm Sander-Stiftung

Bildquelle: (oben) Schema­tische Darstellung der Klassi­fi­kation der Tumor­aus­dehnung beim Harnbla­sen­kar­zinom, Rechte­inhaber: Der Reisende, wikipedia.com, Lizenz: CC BY-SA 3.0