Neue Wege zu Proteinen außerhalb der Zelle

Myoglobin war das erste Protein, dessen räumliche Struktur durch Kristall­struk­tur­analyse aufge­klärt wurde. Dieses Globin dient in Muskel­zellen als Sauer­stoff­speicher. Seine aus über 150 Amino­säuren aufge­baute Peptid­kette mit α‑Helices faltet sich kugel­förmig zur räumlichen Prote­in­struktur und hält eine Hämgruppe, an deren Eisenatom sich O2 anlagern kann. Foto: AzaTot, Lizenz: Gemeinfrei

Neue Wege zu Proteinen außerhalb der Zelle

Mit steigendem Alter und vor allem bei neuro­de­ge­nera­tiven Erkran­kungen wie Alzheimer treten falsch gefaltete Proteine auf, die innerhalb und außerhalb der Zellen schäd­liche Ablage­rungen bilden. Aus den Zellen ausge­schiedene Proteine spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Körper­funk­tionen und bei der Bekämpfung von Infek­tionen. Nun hat ein Forschungsteam der Univer­sität Tübingen Mecha­nismen entdeckt, die Proteine außerhalb der Zelle daran hindern, Ablage­rungen zu bilden.

Das Team wird geleitet von der Alters­for­scherin Dr. Della David vom Inter­fa­kul­tären Institut für Biochemie und dem Deutschen Zentrum für Neuro­de­ge­nerative Erkran­kungen (DZNE). Die neuen Forschungs­er­geb­nisse deuten darauf hin, dass die Aufrecht­erhaltung von in Körper­flüs­sig­keiten befind­lichen Proteinen in ihrer korrekten Form sowohl vor Alterung als auch vor Infek­tionen schützen. Die Studie wurde in der neuesten Ausgabe der Fachzeit­schrift Nature veröffentlicht.

Proteine sind im Körper Baustoffe der Zellen, sie sind aber zum Beispiel als Enzyme auch für viele Abläufe des Stoff­wechsels zuständig. Dafür müssen die langen Amino­säu­re­ketten, aus denen Proteine bestehen, korrekt in ihre dreidi­men­sionale Form gefaltet werden. »Jahrzehn­telang haben sich Forsche­rinnen und Forscher auf Kontroll­me­cha­nismen der Prote­in­qua­lität in der Zelle konzen­triert, mit denen sich schäd­liche Ablage­rungen vermeiden lassen«, sagt Della David. Doch träten Ablage­rungen fehlge­fal­teter Proteine auch außerhalb der Zellen auf. »Bisher wusste man sehr wenig über ihre Regulation, da der Prozess an Versuchs­tieren, wie zum Beispiel Mäusen, schwer zu unter­suchen ist«, sagt sie.

Ein neues Modell für die extra­zel­luläre Proteinablagerung

An dem winzigen Fadenwurm Caenor­hab­ditis elegans entwi­ckelten David, ihre Kolle­ginnen und Kollegen ein neues Modell zur Unter­su­chung der extra­zel­lu­lären Prote­in­ab­la­gerung. Bei dem Fadenwurm entdeckten sie 57 Regula­toren der Prote­in­ab­la­gerung außerhalb der Zellen. Gemeinsam mit Dr. Martin Haslbeck von der TU München identi­fi­zierten sie den ersten extra­zel­lu­lären Regulator in den Würmern, der an ausge­schiedene falsch gefaltete Proteine bindet und sie stabi­li­siert. »Wir wussten, dass eine bessere Kontrolle der Prote­in­qua­lität in der Zelle den Tieren zu einem längeren Leben verhilft. Nun konnten wir belegen, dass dies auch bei der extra­zel­lu­lären Kontrolle der Fall ist«, sagt David. »Erstaun­li­cher­weise mobili­sieren die Würmer diese extra­zel­lu­lären Regula­toren in Antwort auf eine Infektion mit Krank­heits­er­regern.« Ivan Gallotta, der Erstautor der Studie, fügt hinzu: »Wir waren überrascht, dass Würmer, die über eine bessere Kontrolle der extra­zel­lu­lären Prote­in­qua­lität verfügten, einen Angriff von Krank­heits­er­regern bis zu 30 Prozent länger überlebten.« Dass die extra­zel­lu­lären Regula­toren die Immun­antwort der Tiere verstärken, stellten die Forscher in einer Koope­ration mit Professor Ralf Sommer vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwick­lungs­bio­logie fest.

»Viele Mecha­nismen und Prote­in­funk­tionen sind bei Würmern und Menschen sehr ähnlich«, sagt Maximilian Peters von der Hebrew University in Jerusalem, der auch an der Studie beteiligt war. Er identi­fi­zierte die mensch­lichen Proteine, die den extra­zel­lu­lären Regula­toren beim Wurm am ähnlichsten sind. »Als nächstes wollen wir unter­suchen, ob diese Regula­toren aktiv werden können gegen extra­zel­luläre Beta-Amyloid-Prote­in­ab­la­ge­rungen, wie sie im Gehirn von Alzhei­mer­pa­ti­enten zu finden sind«, sagt David. Sie will über die Ergeb­nisse neue Wege für die Suche nach effek­tiven Alzhei­mer­the­rapien öffnen. »Bessere Kennt­nisse über die extra­zel­luläre Prote­in­qua­li­täts­kon­trolle könnten auch dazu beitragen, mehr über das gesunde Altern und den Schutz vor Infek­tionen zu erfahren.«

Origi­nal­pu­bli­kation: Gallotta I., Sandhu A., Peters M., Haslbeck M., Jung R., Agilkaya S., Blersch J. L., Rödel­sperger C., Röseler W., Huang C., Sommer R.J., David D.C.: Extra­cel­lular proteostasis prevents aggre­gation during patho­genic attack. Nature, https://dx.doi.org/10.1038/s41586-020‑2461‑z

Textquelle: Dr. Karl Guido Rijkhoek, Eberhard Karls Univer­sität Tübingen

Bildquelle: Myoglobin war das erste Protein, dessen räumliche Struktur durch Kristall­struk­tur­analyse aufge­klärt wurde. Dieses Globin dient in Muskel­zellen als Sauer­stoff­speicher. Seine aus über 150 Amino­säuren aufge­baute Peptid­kette mit α‑Helices faltet sich kugel­förmig zur räumlichen Prote­in­struktur und hält eine Hämgruppe, an deren Eisenatom sich O2 anlagern kann. Foto: AzaTot, Lizenz: Gemeinfrei