Nerven­zellen: Soll ich – oder nicht?

Mit ultra­feinen Elektroden, die in den Schlä­fen­lappen Epilep­sie­kranker implan­tiert werden, können die Forscher die Aktivität einzelner Nerven­zellen sichtbar machen. Foto: Christian Burkert

Nerven­zellen: Soll ich – oder nicht?

Aus der Aktivität einzelner Nerven­zellen im Gehirn lässt sich ablesen, wie sicher wir bei einer Entscheidung sind. Das zeigt eine aktuelle Studie von Wissen­schaftlern der Univer­sität Bonn. Das Ergebnis ist unerwartet – eigentlich waren die Forscher einem ganz anderen Bewer­tungs-Mecha­nismus auf der Spur. Die Resultate sind in der Fachzeit­schrift Current Biology erschienen.

Sie sitzen im Café und möchten zu Ihrem Cappuccino auch noch ein Stück Kuchen genießen. Die Schwarz­wälder Kirsch­torte ist Ihnen zu mächtig und scheidet daher schnell aus. Die Wahl zwischen dem Karot­ten­kuchen und dem Rhabarber-Streusel fällt Ihnen dagegen erheblich schwerer: Das warme Wetter spricht für das erfri­schende Obstteilchen. Karot­ten­kuchen ist jedoch einer Ihrer All-Time-Favorites. Was also tun?

Wir müssen tagtäglich Entschei­dungen treffen, und bei manchen von ihnen sind wir viel sicherer als bei anderen. Die Forscher am Univer­si­täts­kli­nikum Bonn haben nun Nerven­zellen im Gehirn identi­fi­ziert, an deren Aktivität sich die Entschei­dungs-Sicherheit ablesen lässt. An ihrem Experiment nahmen insgesamt zwölf Frauen und Männer Teil. »Wir zeigten ihnen Fotos zweier verschie­dener Snacks, zum Beispiel von einem Schoko­riegel und einer Tüte Chips«, erklärt Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Klinik für Epilep­to­logie. »Sie sollten dann mit Hilfe eines Schie­be­reglers angeben, welche dieser Alter­na­tiven sie lieber essen würden.« Je stärker sie den Regler dabei aus seiner Mittel­po­sition in Richtung des linken oder des rechten Fotos verschoben, desto sicherer waren sie in ihrer Entscheidung.

Feuerrate und Sicherheit hängen zusammen

Insgesamt 190 verschiedene Snack-Paare mussten die Teilnehmer so beurteilen. Gleich­zeitig zeich­neten die Wissen­schaftler die Aktivität von jeweils 830 Nerven­zellen im so genannten Schlä­fen­lappen auf, einer Region unterhalb der Schläfe in der Hirnrinde. »Dabei stellten wir fest, dass sich die Frequenz der elektri­schen Pulse bei manchen Neuronen – also ihre ›Feuerrate‹ – mit steigender Entschei­dungs-Sicherheit änderte«, erklärt Mormanns Mitar­beiter Alexander Unruh-Pinheiro. »Einige feuerten zum Beispiel umso häufiger, je sicherer die jeweilige Versuchs­person in ihrer Entscheidung war.«

Es ist das erste Mal, dass ein solcher Zusam­menhang zwischen Aktivität und Entschei­dungs­si­cherheit gefunden wurde. Die betrof­fenen Neurone befinden sich in einer Hirnregion, die unter anderem bei Gedächtnis-Vorgängen eine Rolle spielt. »Mögli­cher­weise ist es so, dass wir nicht nur abspei­chern, welche Entscheidung wir getroffen haben, sondern auch, wie sicher wir dabei waren«, speku­liert Mormann. »Vielleicht bewahrt uns ein solcher Lernvorgang vor künftigen Fehlentscheidungen.«

 

Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Bonner Uniklinik für Epilep­to­logie. Foto: Rolf Müller/UKB

Norma­ler­weise verbietet es sich aus ethischen Gründen, den Zustand einzelner Neuronen in lebenden Menschen zu unter­suchen. Die Teilnehmer der Studie litten jedoch unter einer schweren Variante der Epilepsie. Die charak­te­ris­ti­schen Krampf­an­fälle nehmen bei dieser Form der Krankheit stets vom selben Hirnbe­reich ihren Ausgang. Eine Thera­pie­mög­lichkeit ist es daher, diesen Epilepsie-Herd operativ zu entfernen. Um die defekte Stelle genau zu lokali­sieren, pflanzen die Ärzte an der Klinik für Epilep­to­logie den Patienten mehrere Elektroden ein. Diese sind über das gesamte poten­ziell betroffene Gebiet verteilt. Gleich­zeitig erlauben sie auch einen Einblick in die Arbeits­weise einzelner Nerven­zellen im Gehirn.

Ursprünglich waren die Forscher der Univer­sität Bonn auf der Suche nach einem ganz anderen Phänomen: Wenn wir eine Entscheidung treffen, weisen wir jeder der Alter­na­tiven einen subjek­tiven Wert zu. »Es gibt Anhalts­punkte dafür, dass sich auch diese subjektive Wertigkeit in der Aktivität einzelner Neuronen wider­spiegelt«, sagt Mormann. »Dass wir statt­dessen aber auf diesen Zusam­menhang zwischen Feuer­ver­halten und Entschei­dungs­si­cherheit gestoßen sind, hat uns selber überrascht.«

Origi­nal­pu­bli­kation:

Alexander Unruh-Pinheiro, Michael R. Hill, Bernd Weber, Jan Boström, Christian E. Elger, Florian Mormann: Single Neuron Corre­lates of Decision Confi­dence in the Human Medial Temporal Lobe. Current Biology; dx.doi.org/10.1016/j.cub.2020.09.021

Textquelle: Johannes Seiler, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univer­sität Bonn

Bildquelle: (oben) Mit ultra­feinen Elektroden, die in den Schlä­fen­lappen Epilep­sie­kranker implan­tiert werden, können die Forscher die Aktivität einzelner Nerven­zellen sichtbar machen. Foto: Christian Burkert

Bildquelle: (unten) Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Bonner Uniklinik für Epilep­to­logie. Foto: Rolf Müller/UKB