»Moleku­larer Klebstoff« – Neue Waffe gegen Krebstreiber?

»Moleku­larer Klebstoff« – Neue Waffe gegen Krebstreiber?

Wissen­schaftler haben auf der Suche nach neuen Krebs­me­di­ka­menten insbe­sondere wachs­tums­för­dernde Proteine ins Visier genommen. Da diese Krebs­treiber mit den vorhan­denen Medika­menten oft nur schwer zu bremsen sind, werden dringend alter­native Thera­pie­an­sätze benötigt.

Wissen­schaftler haben auf der Suche nach neuen Krebs­me­di­ka­menten insbe­sondere wachs­tums­för­dernde Proteine ins Visier genommen. Da diese Krebs­treiber mit den vorhan­denen Medika­menten oft nur schwer zu bremsen sind, werden dringend alter­native Thera­pie­an­sätze benötigt. In Zusam­men­arbeit mit dem Deutschen Krebs­for­schungs­zentrum (DKFZ) und dem Natio­nalen Centrum für Tumor­er­kran­kungen (NCT) Heidelberg haben Forscher aus Boston und Basel nun den Wirkme­cha­nismus einer neu entdeckten zellu­lären Krebs­bremse aufge­klärt. Dieses Molekül verbindet krebs­trei­bende Proteine mit einem Bestandteil des zellu­lären Entsor­gungs­systems. Als »moleku­larer Klebstoff« sorgt es dafür, dass der Krebs­treiber abgebaut und das Zellwachstum gehemmt wird. Die Forschungs­er­geb­nisse eröffnen neue Wege in der Wirkstoff­ent­wicklung für die Behandlung von Krebs.

Die meisten klinisch einge­setzten zielge­rich­teten Krebs­me­di­ka­mente sind kleine Moleküle, die die Aktivität von wachs­tums­för­dernden Proteinen blockieren.

Wie ein »moleku­larer Klebstoff« funktio­niert. Der Kinasein­hi­bitor CR8 verbindet den krebs­trei­benden CDK12/Cyclin K‑Komplex (braun) mit einer E3-Ligase (grün). Diese Inter­aktion bewirkt, dass Cyclin K an Ubiquitin-Moleküle (gelb) gebunden wird. Auf diese Weise markierte Cyclin-K-Moleküle können vom Entsor­gungs­system der Zelle erkannt und abgebaut werden (blau). Bild: Jonas Koeppel, NCT Heidelberg

Von allen bekannten Krebs­treibern bieten aber nur wenige geeignete Angriffs­punkte für diese Wirkstoffe. Ein neuar­tiger Ansatz umgeht diese Schwie­rigkeit und macht sich einen zellei­genen Ablauf zunutze, der nicht mehr benötigte Proteine abbaut und damit entsorgt.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Entsor­gungs­systems sind die sogenannten E3-Ligasen. Diese Enzyme regulieren die Aktivität vieler Proteine in der Zelle. In den letzten Jahren haben sie sich zu einem vielver­spre­chenden Ziel für neue Arznei­mittel entwi­ckelt, um krank­heits­ver­ur­sa­chende Proteine selektiv zu zerstören und zu entfernen. Das bekann­teste Beispiel für einen solchen Wirkstoff ist Thali­domid. Er bringt als eine Art »moleku­larer Klebstoff« ein krebs­för­derndes Protein in unmit­telbare Nähe zu einem E3-Ligase-Rezeptor. Durch das Verkleben der beiden wird der Krebs­treiber für die Entsorgung markiert, sodass er gezielt abgebaut werden kann. Das Thali­domid-Analogon Lenal­idomid ist in Deutschland für die Behandlung bestimmter Blutkrebs­arten, des multiplen Myeloms und des myelo­dys­plas­ti­schen Syndroms, zugelassen.

»Um weitere Substanzen aus der neuen Gruppe der moleku­laren Klebstoffe zu identi­fi­zieren, unter­suchten wir Tausende von Medika­menten auf ihre Fähigkeit, das Wachstum von Krebs­zellen zu hemmen. Dabei spielte die Menge an E3-Ligasen in einer Zelle eine entschei­dende Rolle«, berichtet Mikołaj Słabicki, Postdok­torand am Dana-Farber Cancer Institute (DFCI) in Boston und Erstautor der Studie. »Wir entdeckten, dass das Molekül CR8 das Wachstum von Krebs­zellen hemmt, indem es eine E3-Ligase an bestimmte wachs­tums­för­dernde Proteine koppelt.«

Bei der genaueren Charak­te­ri­sierung von CR8 fanden die Forscher eine struk­tu­relle Ähnlichkeit zu einem bereits bekannten Kinase­hemmer mit dem Namen Rosco­vitin oder Seliciclib. »Wir konnten zeigen, dass es möglich ist, einen konven­tio­nellen Kinasein­hi­bitor durch Anhängen einer bestimmten chemi­schen Gruppe in einen moleku­laren Klebstoff umzuwandeln«, sagt Senior­autor Benjamin Ebert vom DFCI und Träger des Meyenburg-Krebs­for­schungs­preises 2019.

Die moleku­laren Details des CR8-induzierten Klebstoff­kom­plexes wurden von Forschern des Friedrich-Miescher-Instituts für Biome­di­zi­nische Forschung (FMI) in Basel, darunter Co-Senior­autor Nicolas Thomä und die Co-Erstau­toren Zuzanna Kozicka und Georg Petzold, aufge­deckt. Die Teams auf beiden Seiten des Atlantiks entdeckten, dass eine kleine chemische Gruppe erfor­derlich ist, damit CR8 als moleku­larer Kleber wirken kann. »Dies könnte eine Strategie für die Entwicklung von Medika­menten sein und zu neuen Optionen für die Behandlung von Krebs führen«, sagt Kozicka.

Die Suche nach neuar­tigen »moleku­laren Klebstoffen« war eine gemeinsame Anstrengung von Wissen­schaftlern des DFCI, des Broad Institute of Harvard and Massa­chu­setts Institute of Technology in Cambridge sowie des FMI in Zusam­men­arbeit mit Forschern des DKFZ und des NCT Heidelberg, darunter zwei Studenten, Manisha Manoj­kumar und Jonas Koeppel.

»Diese Studie war echte Detek­tiv­arbeit, wobei jedes Experiment zusätz­liche Puzzle­teile aufdeckte. Sie erfor­derte eine multi­dis­zi­plinäre Anstrengung von Teammit­gliedern aus verschie­denen Bereichen, darunter Krebs­bio­logie, Bioin­for­matik, funktio­nelle Genomik, Struk­tur­bio­logie und Biochemie«, sagt Słabicki.

Origi­nal­pu­bli­kation: M. Słabicki, Z. Kozicka, G. Petzold et al. (2020) The CDK inhibitor CR8 acts as a molecular glue degrader that depletes cyclin K. Nature. Online June 3, 3020, https://doi.org/10.1038/s41586-020‑2374‑x

Textquelle: Dr. Friederike Fellenberg, Natio­nales Centrum für Tumor­er­kran­kungen (NCT) Heidelberg

Bildquelle: Wie ein »moleku­larer Klebstoff« funktio­niert. Der Kinasein­hi­bitor CR8 verbindet den krebs­trei­benden CDK12/Cyclin K‑Komplex (braun) mit einer E3-Ligase (grün). Diese Inter­aktion bewirkt, dass Cyclin K an Ubiquitin-Moleküle (gelb) gebunden wird. Auf diese Weise markierte Cyclin-K-Moleküle können vom Entsor­gungs­system der Zelle erkannt und abgebaut werden (blau). Bild: Jonas Koeppel, NCT Heidelberg