Mit Ballast­stoffen zum Darmgleichgewicht

Ballast­stoff­reiche Lebens­mittel wie Getreide, Obst, Gemüse und Hülsen­früchte auf einem Markt­stand in Malaysia. Foto: M M from Switz­erland, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Mit Ballast­stoffen zum Darmgleichgewicht

Ballast­stoffe haben Einfluss auf die Zusam­men­setzung der Darmflora. Eine gesunde Darmflora stellt größere Mengen an kurzket­tigen Fettsäuren her, die sich positiv auf entzünd­liche Erkran­kungen auswirken. Insbe­sondere hemmt sie jedoch auch die Produktion eines Proteins namens Zonulin. Dieses Protein ist FAU-Forschern zufolge mit dafür verant­wortlich, dass der Darm durch­lässig für Stoffe wird, die im Körper Autoim­m­un­re­ak­tionen auslösen. Sie stellten fest, dass sich die Zonulin-Produktion sowohl durch kurzkettige Fettsäuren als auch durch einen Stoff namens Larazotid-Acetat verringern und die Krank­heits­ak­ti­vität bei Arthritis damit hinaus­zögern lassen kann.

Ballast­stoffe aus der Nahrung sind kein Ballast – im Gegenteil. Die weitgehend unver­dau­lichen Nahrungs­be­stand­teile sind ein gefun­denes Fressen für die Darmbak­terien, welche daraus kurzkettige Fettsäuren herstellen. Diese kurzket­tigen Fettsäuren wirken sich positiv auf entzünd­liche Erkran­kungen wie die Rheuma­toide Arthritis aus. Ernähren sich Arthritis-Patienten ballast­stoff­reich, erhöht sich unter anderem die Zahl der regula­to­ri­schen T‑Zellen, die Autoim­m­un­re­ak­tionen entge­gen­wirken – Reaktionen, bei denen sich die Körper­abwehr gegen den eigenen Organismus richtet. Auch das Allge­mein­be­finden der Patienten verbessert sich bei ballast­stoff­reicher Kost, fanden Forschende der Friedrich-Alexander-Univer­sität Erlangen-Nürnberg (FAU) heraus. Die Ergeb­nisse haben sie in der Fachzeit­schrift Nutrients veröf­fent­licht. (1)

Den Darmbak­terien kommt bei der Entstehung von Autoim­mun­erkran­kungen eine nicht unerheb­liche Rolle zu. Diese Mikro­or­ga­nismen, die bei Erwach­senen gut zwei Kilogramm des Körper­ge­wichts ausmachen, sind darauf angewiesen, gut gefüttert zu werden, damit die Darmflora intakt bleibt. Das heißt: Sie brauchen Ballast­stoffe. Die heutige Ernährung ist jedoch oft ballast­stoffarm, was zu einer gestörten Darmflora führen kann. Eine gestörte bakte­rielle Zusam­men­setzung im Darm wiederum wird in Zusam­menhang mit Autoim­mun­erkran­kungen gebracht. Denn dann stellen die Mikro­or­ga­nismen weniger kurzkettige Fettsäuren her. Diese Fettsäuren, zu denen Propionat und Butyrat zählen, kommen zum Beispiel in der Gelenk­flüs­sigkeit vor, tragen zur Funkti­ons­fä­higkeit der Gelenke bei und beugen Entzün­dungen vor. (2)

Eine weitere Studie des Teams um Prof. Dr. Mario Zaiss, Professur für Immun­to­leranz und Autoim­mu­nität der FAU, stützt diese Ergeb­nisse. Die FAU-Wissen­schaftler und –Wissen­schaft­le­rinnen unter­suchten, wie sich das Protein Zonulin im Darm hemmen lässt, das Autoim­mun­erkran­kungen Vorschub leistet. Sie stellten dabei unter anderem fest, dass Ernährung und Darmbak­terien Einfluss auf die Zonulin-Produktion nehmen. Die Resultate dieser Studie wurden im renom­mierten Magazin Nature Commu­ni­ca­tions publi­ziert. (3)

Von der Symptom­freiheit zur Krankheit

Das Team der FAU um Prof. Dr. Mario Zaiss unter­suchte in der Zonulin-Studie, welchen Beitrag die Darmflora zum Prozess von der symptom­freien Autoim­mu­nität hin zur Krank­heits­ak­ti­vität leistet. Die Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler fanden heraus, dass das Darmepithel, also das Deckgewebe – die Umman­telung – des Darms, bei einer gestörten Bakte­ri­en­be­siedlung des Darms vermehrt Zonulin ausschüttet. Zonulin sorgt dafür, dass die sogenannten Tight Junctions – das sind Proteine, die die Zellzwi­schen­räume der Darmum­man­telung abdichten – durch­lässig werden, zum Beispiel für Peptide oder Teile von Bakterien. Die Bakte­ri­en­bruch­stücke ähneln mensch­lichen Körper­be­stand­teilen, weshalb, so vermuten die FAU-Forschenden, der Organismus nicht zwischen den Fremd­stoffen und eigenen Körper­zellen unter­scheiden kann. Er greift die Eindring­linge an und bildet Antikörper, die sich zugleich gegen eigene Körper­zellen richten. Die Folge sind autoimmun bedingte Entzün­dungs­re­ak­tionen und zugleich der Start­schuss für die Krank­heits­ak­ti­vität bei Rheuma­toider Arthritis.

Bei einer gestei­gerten Zonulin-Konzen­tration im Darm, so die Studie, erhöht sich auch bei bislang symptom­freien Patienten mit einer Autoim­mu­nität das Risiko für den Ausbruch einer Arthritis innerhalb des Folge­jahres. Durch Biopsien der Dünndarm­schleimhaut belegten die FAU-Forschenden, dass sich die Tight Junctions, die Darmbar­riere, bei erhöhten Zonulin-Werten verän­derte und durch­läs­siger wurde. Auch eine Durch­läs­sigkeit des Darms für Lactulose wies sowohl bei Mäusen wie bei Menschen auf den Beginn einer aktiven Arthritis hin.

Weniger Zonulin, weniger Beschwerden

Da die Forschenden die positiven Wirkungen der kurzket­tigen Fettsäure Butyrat auf die Rheuma­toide Arthritis bereits aus ihrer vorher­ge­henden Studie kannten, verab­reichten sie auch in der Zonulin-Studie Mäusen Butyrat. Es zeigte sich, dass diese Behandlung den Beginn der Arthritis verzö­gerte, die Zonulin-Konzen­tration senkte und die intestinale Barriere stärkte. Eine noch stärkere Wirkung erzielten sie mit der Gabe von Larazotid-Acetat, einem Stoff, der bereits in klini­schen Studien zur Behandlung von Zöliakie, also Gluten­un­ver­träg­lichkeit verwendet wird. Unter Larazotid-Acetat, das die Zonulin-Produktion hemmt, ging die Entzün­dungs­tä­tigkeit in den Gelenken zurück, die Knochen­fes­tigkeit stieg an und der Beginn der Arthritis ließ sich hinauszögern.

Die Wissen­schaftler der FAU gehen davon aus, dass sich auch bei Menschen die Krank­heits­ak­ti­vität bei Arthritis durch eine Blockade der Zonulin-Produktion mit Larazotid-Acetat verzögern lassen kann. Da die Substanz bereits in Phase-III-Studien getestet wird, ist ein Einsatz für Rheuma­toide Arthritis demnächst unter Umständen ebenfalls möglich.

Mit Ballast­stoffen zum Darmgleichgewicht

Außerdem empfiehlt das FAU-Team, die Darmflora durch eine ballast­stoff­reiche Ernährung ins Gleich­ge­wicht zu bringen, um die Darmbak­terien in die Lage zu versetzen, größere Mengen Butyrat herzu­stellen und die Darmbar­riere zu stärken. Die Forschenden sehen im Verzehr von Ballast­stoffen einen zusätz­lichen Behand­lungs­ansatz der Rheuma­toiden Arthritis und unter Umständen auch anderer Autoim­mun­erkran­kungen. Studi­en­leiter Prof. Dr. Mario Zaiss: »Schon Hippo­krates hat die Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit erkannt und falsche Ernährung als eine der Haupt­ur­sachen für die Entstehung von Krank­heiten ausge­macht: ‚Eure Nahrungs­mittel sollen eure Heilmittel, und eure Heilmittel sollen eure Nahrungs­mittel sein.‘ Wenn also Krankheit durch eine fehler­hafte Ernährung ausgelöst werden kann, dann sollten wir uns nochmals eingehend damit beschäf­tigen und die Zusam­men­hänge besser erforschen.«

Origi­nal­pu­bli­ka­tionen:

(1) DOI: 10.3390/nu11102392

(2) DOI: 10.1038/s41467-020–15831‑7

(3) DOI: 10.1038/s41467-020–15831‑7

Textquelle: Susanne Langer, Friedrich-Alexander-Univer­sität Erlangen-Nürnberg

Bildquelle: Ballast­stoff­reiche Lebens­mittel wie Getreide, Obst, Gemüse und Hülsen­früchte auf einem Markt­stand in Malaysia. Foto: M M from Switz­erland, Lizenz: CC BY-SA 2.0