Mikro­ro­boter rollt tief ins Innere des Körpers

Mikro­ro­boter rollt tief ins Innere des Körpers

Mit einem Leuko­zyten als Vorbild haben Wissen­schaftler des Max-Planck-Instituts für Intel­li­gente Systeme in Stuttgart einen Mikro­ro­boter entwi­ckelt, der in Größe, Form und Bewegungs­fä­higkeit einem weißen Blutkör­perchen gleicht. In einem Labor simulierten sie dann ein Blutgefäß – und es gelang ihnen, den Mikro­roller durch diese dynamische und dichte Umgebung zu steuern. Der Roboter hielt dem simulierten Blutfluss stand und brachte damit das Forschungs­gebiet rund um die zielgenaue Medika­men­ten­abgabe einen Schritt weiter: Es gibt keinen besseren Zugangsweg zu allen Geweben und Organen im mensch­lichen Körper als den Blutkreislauf.

Wissen­schaftler des Max-Planck-Instituts für Intel­li­gente Systeme (MPI-IS) in Stuttgart haben einen winzigen Mikro­ro­boter entwi­ckelt, der einem weißen Blutkör­perchen ähnelt, das sich seinen Weg durch den Blutkreislauf bahnt. Der Roboter hat die Form und Größe eines Leuko­zyten und bewegt sich wie dieser rollend vorwärts. Mögli­cher­weise ist der Mikro­roller damit auf dem besten Weg, die minimal-invasive Behandlung von Krank­heiten zu revolu­tio­nieren. Das Forschungs­projekt wurde im renom­mierten Journal Science Robotics am 20. Mai unter dem Titel „Multi­func­tional surface micro­rollers for targeted drug delivery in physio­lo­gical blood flow“ veröffentlicht.

In einem Labor haben die Forscher ein Blutgefäß simuliert. Mit Hilfe kleiner Magnet­spulen ist es ihnen gelungen, einen Mikro­roller durch diese dynamische und dichte Umgebung zu steuern: Das kugel­förmige Medika­men­ten­trans­port­ve­hikel hielt dem simulierten Blutfluss stand. Das Forschungs­gebiet rund um die zielgenaue Medika­men­ten­abgabe bringt dieser Erfolg einen wesent­lichen Schritt weiter: Es gibt keinen besseren Zugangsweg zu allen Geweben und Organen im Körper als den Blutkreislauf, da er alle Zellen versorgt.

Weiße Blutkör­perchen – die Wächter des Immun­systems – dienten dem Team als Inspi­ration, da sie die einzigen beweg­lichen Zellen innerhalb des Blutflusses sind. Auf ihrer Patrouille zu Orten, an denen Krank­heits­er­reger einge­drungen sind, rollen sie an der Blutge­fäß­in­nenwand entlang und dringen aus dieser heraus, wenn sie zum Beispiel an einer Wunde ankommen. Dass sie sich bewegen können, liegt vor allem an der wesentlich gerin­geren Fließ­ge­schwin­digkeit an den Gefäßinnenwänden.

Die Forscher haben sich dieses Phänomen zunutze gemacht. Sie haben einen Mikro­ro­boter entwi­ckelt, den sie dank seiner magne­ti­schen Eigen­schaften aktiv vorwärts­be­wegen und innerhalb eines künst­lichen Blutge­fäßes (die Blutfluss­ge­schwin­digkeit war identisch, genauso wie die Konsistenz) steuern konnten. „Unsere Vision ist es, die nächste Generation Trans­port­mittel für die minimal-invasive, gezielte Medika­men­ten­ver­ab­rei­chung zu kreieren – eines, das noch weiter ins Körper­innere dringen kann und dabei noch schwie­riger zu errei­chende Bereiche zugänglich macht“, sagt Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intel­ligenz am MPI-IS und Co-Autor der Publikation.

Jeder Mikro­roller hat einen Durch­messer von knapp acht Mikro­metern und besteht aus winzigen Glaspar­tikeln. Eine Seite ist mit einer dünnen Nickel- und Goldschicht bedeckt, an der anderen haften Krebs­me­di­ka­mente sowie spezielle Moleküle, die Krebs­zellen aufspüren können. „Mit Hilfe von Magnet­feldern können unsere Mikro­ro­boter strom­auf­wärts durch ein simuliertes Blutgefäß navigieren, was aufgrund des starken Blutflusses und der dichten zellu­lären Umgebung eine Heraus­for­derung darstellt. Kein einziger Mikro­ro­boter konnte einem solchen Strom bisher stand­halten. Doch wir haben es geschafft! Darüber hinaus können unsere Roboter selbst­ständig für sie inter­es­sante Zellen, beispiels­weise Krebs­zellen, erkennen. Das können sie, weil wir sie mit zellspe­zi­fi­schen Antikörpern beschichtet haben. Sie können die Wirkstoff­mo­leküle dann während der Fahrt freisetzen“, sagt Yunus Alapan, Post-Doc in der Abteilung für Physische Intel­ligenz und ebenfalls Co-Autor der Publikation.

Im Labor erreicht der Mikro­roller eine Geschwin­digkeit von bis zu 600 Mikro­metern pro Sekunde. Das sind rund 76 Körper­längen pro Sekunde, was ihn zum schnellsten magne­ti­schen Mikro­ro­boter dieser Größe macht. Bevor jedoch der Roboter solch eine Bewegung unter realen Bedin­gungen ausführen kann, müssen mehrere Heraus­for­de­rungen bewältigt werden. Tatsächlich sind sie weit davon entfernt, im mensch­lichen Körper getestet zu werden. Im Labor gelang es den Forschern, die Roboter mit Mikro­skopen abzubilden und mit elektro­ma­gne­ti­schen Spulen zu steuern. „In Kliniken aller­dings ist die Auflösung der derzei­tigen Bildge­bungs­ver­fahren nicht hoch genug, um einzelne Mikro­ro­boter im mensch­lichen Körper abbilden zu können. Zudem würde die Medika­menten-Fracht, die von einem einzelnen Mikro­ro­boter trans­por­tiert werden kann, angesichts des Größen­un­ter­schieds zwischen einem Mikro­ro­boter (etwa 10 Mikro­meter) und Organ­gewebe (Tausende von Mikro­metern) nicht ausreichen. Man müsste also mehrere Mikro­ro­boter zusammen in einem Schwarm manipu­lieren können, um eine ausrei­chende Wirkung zu erzielen. Aber davon sind wir noch weit entfernt, dies ist erst der Anfang“, sagt Ugur Bozuyuk, Doktorand in derselben Abteilung und Mitver­fasser der Studie.

Die Motivation für das Forschungs­projekt geht auf den berühmten Vortrag des Nobel­preis­trägers Richard Feynman mit dem Titel „There‘s Plenty of Room at the Bottom“ zurück. In seinem 1959 gehal­tenen Vortrag stellte sich der Physiker mikro­sko­pische Maschinen vor, die sich durch Blutgefäße bewegen und Opera­tionen im Innern des mensch­lichen Körpers durch­führen können. Er prägte damit den Begriff „Chirurg in der Blutbahn“.

In den vergan­genen beiden Jahrzehnten hat sich das Forschungs­gebiet dank bedeu­tender Fortschritte in Bezug auf Herstel­lungs­tech­niken, verwendete Materialien, Steuerung und Bildgebung der Mikro­ma­schinen sehr stark weiter­ent­wi­ckelt. Derzeitige Mikro­ro­boter sind jedoch meist auf Gewebe beschränkt wie es beispiels­weise in einem Auge vorkommt oder das relativ leicht zugänglich ist (z.B. Magen-Darm-Trakt) sowie auf langsam fließende Umgebungen. Um jedoch Bereiche tief im Inneren des Körpers zu erreichen, führt womöglich kein Weg vorbei an dem Blutkreislauf – trotz der widrigen Bedin­gungen. Die Wissen­schaftler hoffen, mit ihrer bio-inspi­rierten Strategie eine neue Plattform für die kontrol­lierte Navigation von Mikro­ro­botern durch den Blutkreislauf zu schaffen. Dies könnte den Weg ebnen, damit Mikro­ro­boter eines Tages zielgenau Wirkstoffe an Krank­heits­herden abgeben können.

Textquelle: Linda Behringer, Max-Planck-Institut für Intel­li­gente Systeme

Bildquelle: (oben) Mikro­ro­boter rollt tief ins Innere des Körpers, Foto: Max-Planck-Institut für Intel­li­gente Systeme