Maßge­schnei­derte mensch­liche Stammzellen

Drei transgene iPS-Linien, in denen jeweils ein anderer Transkrip­ti­ons­faktor aktivierbar ist, wurden gemischt und zu einem synthe­ti­schen Gewebe innerhalb von vier Tagen induziert. Gefäß­zellen sind gelb, Nerven­zellen magenta und Binde­ge­webs­zellen blau. Aufnahme: Jesus Eduardo Rojo Arias und Volker Busskamp

Maßge­schnei­derte mensch­liche Stammzellen

Induzierte pluri­po­tente Stamm­zellen (iPS) haben das Potenzial, sich in die unter­schied­lichsten Zelltypen und Gewebe zu verwandeln. Die »Kochre­zepte« für diese Umwandlung sind jedoch häufig kompli­ziert und schwer umsetzbar. Forscher des Zentrums für Regene­rative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden, der Harvard University (USA) und der Univer­sität Bonn haben einen Weg gefunden, wie sich aus den iPS syste­ma­tisch hunderte verschiedene Zellen schnell und einfach mit Hilfe von Transkrip­ti­ons­fak­toren gewinnen lassen. Diese Quelle können Wissen­schaftler über die Non-Profit-Organi­sation Addgene nutzen. Die Ergeb­nisse sind nun in »Nature Biotech­nology« veröffentlicht.

Die Wissen­schaftler verwen­deten mensch­liche iPS, die aus Binde­ge­webs­zellen in einen quasi-embryo­nalen Zustand rückpro­gram­miert wurden. Im Prinzip lassen sich aus iPS-Zellen alle möglichen ausdif­fe­ren­zierten Zellen gewinnen – von der Nerven- bis zur Blutge­fäß­zelle, wobei jedes Rezept maßge­schneidert ist. »Die meisten Diffe­ren­zie­rungs­pro­to­kolle sind sehr aufwendig und kompli­ziert. Sie können aus den iPS nicht gleich­zeitig und kontrol­liert in einer Kultur verschiedene ausdif­fe­ren­zierte Zellen gewinnen«, sagt Prof. Dr. Volker Busskamp, der zugleich zur Bonner Univer­sitäts-Augen­klinik, dem Exzel­lenz­cluster ImmunoSensation2 der Univer­sität Bonn, Exzel­lenz­cluster Physik des Lebens (PoL) und zum CRTD der TU Dresden gehört.

Zusammen mit einem Team von der Harvard University, der TU Dresden und der Univer­sität Bonn suchte er nach einem Weg, wie sich die kompli­zierten Verfahren durch einfache »Kochre­zepte« ersetzen lassen. Mit einem groß angelegten Screening fanden die Forscher insgesamt 290 DNA-bindende Proteine, die Stamm­zellen schnell und effizient zu Zielzellen umpro­gram­mieren. Die Forscher wiesen nach, dass jeweils nur ein Transkrip­ti­ons­faktor genügt, um binnen vier Tagen aus den Stamm­zellen ausdif­fe­ren­zierte Nerven‑, Bindegewebs‑, Blutgefäß- und Gliazellen zu züchten. Letztere ummanteln als »Isola­toren« Gehirnzellen.

Ein geneti­sches Schalt­brett für die Stammzelldifferenzierung

Mit automa­ti­sierten Verfahren schleusten die Forscher die DNA-Sequenz für den jewei­ligen Transkrip­ti­ons­faktor und weitere Steue­rungs­ele­mente in das Erbgut der Stamm­zellen ein. Die Transkrip­ti­ons­fak­toren konnten durch die Zugabe eines Moleküls aktiviert werden, und dadurch wandelte sich ein Teil der trans­genen Stamm­zellen in ausdif­fe­ren­zierte Zellen um. Stamm­zellen und ausdif­fe­ren­zierte Zellen ließen sich durch Zellmarker unter­scheiden und automa­tisch sortieren. Dann unter­suchten die Forscher, wie viel eines bestimmten Transkrip­ti­ons­faktors in den ausdif­fe­ren­zierten Zellen im Vergleich zu den Stamm­zellen vorlag. »Je größer der Unter­schied, desto wichtiger scheint der jeweilige Transkrip­ti­ons­faktor für die Umwandlung der iPS in ausdif­fe­ren­zierte Zellen zu sein«, erläutert Busskamp.

Auf diese Weise testete das Team insgesamt 1732 poten­zielle Transkrip­ti­ons­fak­toren an drei verschie­denen Stamm­zell­linien. Für 290 unter­schied­liche Transkrip­ti­ons­fak­toren fanden die Forscher dahin­gehend eine Wirkung, dass die iPS sich in ausdif­fe­ren­zierte Zellen umwan­delten. Das ist Neuland, weil diese Eigen­schaft der iPS-Program­mierung von 241 der entdeckten Transkrip­ti­ons­fak­toren vorher nicht bekannt war. Am Beispiel der Nerven‑, Bindegewebs‑, Blutgefäß- und Gliazellen wiesen die Forscher mit verschie­denen Tests nach, dass die umgewan­delten Zellen in ihrer Funkti­ons­fä­higkeit nahe an mensch­liche Körper­zellen herankommen.

Die Ergeb­nisse stoßen neue Türen in der Forschung auf

»Der Vorteil der identi­fi­zierten Transkrip­ti­ons­fak­toren besteht darin, dass sie besonders schnell und einfach iPS in Körper­zellen umwandeln und sich daraus auch poten­ziell komplexere Gewebe bilden lassen«, sagt Busskamp. Was Wochen oder gar Monate dauerte, findet nun binnen Tagen statt. An Stelle aufwen­diger und langwie­riger Proto­kolle genügt bei den im Massen-Screening heraus­ge­fun­denen Treffern nur ein Transkriptionsfaktor.

Prof. Dr. Volker Busskamp von der Univer­sitäts-Augen­klinik Bonn und der TU Dresden. Foto: Sven Doering

»Diese Ergeb­nisse stoßen neue Türen auf«, sagt Prof. Dr. George M. Church von der Harvard University. »Die Vielfalt, Einfachheit und Schnel­ligkeit der Stamm­zell­pro­gram­mierung anhand von Transkrip­ti­ons­fak­toren ermög­licht Stamm­zell­for­schung in großem Stil. Weltweit arbeiten bereits 50 andere Gruppen mit unseren program­mier­baren Stamm­zell­linien sowie mit der Transkrip­ti­ons­fak­tor­sammlung.« Die beiden Erstau­toren Alex H.M. Ng und Parastoo Khoshaklagh aus Harvard haben mittler­weile das Startup GC Thera­peutics in Cambridge (USA) gegründet, das program­mierbare Stamm­zellen mit maßge­schnei­derten, integrierten Transkrip­ti­ons­fak­toren zur Verfügung stellt.

»Die Koope­ration der verschie­denen Forschungs­ein­rich­tungen war sehr erfolg­reich, da die unter­schied­lichen Diszi­plinen sich sehr gut ergänzt und verzahnt haben«, sagt Busskamp. Wissen­schaftler können nun weltweit die Transkrip­ti­ons­fak­toren nutzen, weil diese über die Non-Profit-Organi­sation Addgene bereit­ge­stellt werden.

Busskamp sieht gerade auch als Experte für Degene­rative Netzhaut­er­kran­kungen in der Augen­heil­kunde ein großes Potenzial für die Stammzell-Techno­logie. »Für Erkran­kungen, bei denen die Netzhaut zugrunde geht, wie etwa bei der Alters­be­dingten Makula­de­ge­ne­ration (AMD), besteht die Hoffnung, irgendwann einmal die betrof­fenen Sehzellen mit Hilfe der Umwandlung von iPS zu ersetzen«, sagt Busskamp. »Mein Team arbeitet darauf hin.«

Origi­nal­pu­bli­kation:

Alex H.M. Ng, Parastoo Khoshakhlagh, Jesus Eduardo Rojo Arias, Giovanni Pasquini, Kai Wang, Anka Swiersy, Seth L. Shipman, Evan Appleton, Kiavash Kiaee, Richie E. Kohman, Andyna Vernet, Matthew Dysart, Kathleen Leeper, Wren Saylor, Jeremy Huang, Amanda Graveline, Jussi Taipale, David E. Hill, Marc Vidal, Juan M. Melero-Martin, Volker Busskamp, George M. Church: A compre­hensive library of human transcription factors for cell fate engineering, Nature Biotech, DOI: 10.1038/s41587-020‑0742‑6

Textquelle: Johannes Seiler, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univer­sität Bonn

Bildquelle: (oben) Drei transgene iPS-Linien, in denen jeweils ein anderer Transkrip­ti­ons­faktor aktivierbar ist, wurden gemischt und zu einem synthe­ti­schen Gewebe innerhalb von vier Tagen induziert. Gefäß­zellen sind gelb, Nerven­zellen magenta und Binde­ge­webs­zellen blau. Aufnahme: Jesus Eduardo Rojo Arias und Volker Busskamp

Bildquelle: (unten) Prof. Dr. Volker Busskamp von der Univer­sitäts-Augen­klinik Bonn und der TU Dresden. Foto: Sven Doering