Kommu­ni­kation hilft gegen Einsamkeit

Kommu­ni­kation hilft gegen Einsamkeit

Ein Gespräch zum Thema „Ältere Menschen in der Corona-Pandemie“ von Stefanie Hartmann mit Prof. Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen

Professor Tesch-Römer, Sie leiten das Deutsche Zentrum für Alters­fragen und beschäf­tigen sich mit der Lebens­si­tuation älterer Menschen. Welche Auswir­kungen hat die Corona-Pandemie auf das Leben älterer Menschen?

Älteren Menschen wird es zunächst einmal so gehen wie allen Menschen, egal welchen Alters. Besorgt, verängstigt, gelähmt, nieder­ge­schlagen – aber sie werden dann doch wieder mit Lebensmut und Hoffnung versuchen, mit der Situation umzugehen. Im Übrigen gibt es „die Alten“ gar nicht: Das Alter ist bunt, und wir müssen uns hüten, verall­ge­mei­nernd über ältere Menschen zu sprechen. Schauen Sie sich doch einmal die zweite Lebens­hälfte an, die wir hier am Deutschen Zentrum für Alters­fragen unter­suchen. Die zweite Lebens­hälfte, das ist die Lebens­phase, in der Menschen reali­sieren, dass ihre Lebenszeit endlich ist und dass sie allmählich älter werden. Die 40-Jährigen sorgen sich um ihren Arbeits­platz und müssen zugleich ihre Kinder beschulen. Die 60-Jährigen würden gerne ihre Enkel unter­stützen und freiwillig aktiv sein, können das aber zurzeit nicht. Den 80-Jährigen wird täglich gesagt, dass sie zur absoluten Risiko­gruppe gehören. Mögli­cher­weise gehen sie deswegen gar nicht mehr aus dem Haus. Dazu kommen aber noch die großen Unter­schiede in Einkommen und Vermögen: Wer Geld hat, lässt sich Dinge einfach über private Dienste liefern – auch Klopapier und auch wenn die allge­meinen Liefer­dienste ausge­bucht sind.

Was sagt denn Ihre Forschung zur aktuellen Lebens­si­tuation älterer Menschen?

Aus dem Deutschen Alters­survey, unserer Langzeit­studie zur zweiten Lebens­hälfte, die es schon seit 1996 gibt, wissen wir, dass die Mehrzahl der älteren Menschen sozial gut einge­bettet ist, dass der Kontakt zwischen den Genera­tionen gut ist und dass sich der Gesund­heits­zu­stand insbe­sondere der Menschen, die bereits in den Ruhestand gegangen sind, im Zeitver­gleich verbessert hat. Und noch ein wichtiger Punkt: Ältere Menschen sind gar nicht so viel einsamer als jüngere. Wenn man sich anschaut, wie sich die Einsamkeit zwischen dem Alter 40 und 90 verändert, dann ist die Einsam­keits­quote recht stabil. Nur eine kleine Minderheit der Menschen in der zweiten Lebens­hälfte – zwischen etwa 5 und 10 Prozent – fühlt sich sehr einsam. Aber das kann sich durch die Corona-Pandemie natürlich ändern. Darüber werden wir erst in Zukunft etwas Genaueres sagen können.

Was können wir tun, damit ältere Menschen, die jetzt keinen Besuch haben dürfen, nicht vereinsamen?

Jede Form der Kommu­ni­kation ist wichtig, um Einsamkeit zu vermeiden. Fast alle älteren Menschen haben ein Telefon. Deswegen: Nutzt das Telefon – Enkel, ruft Eure Großeltern an; Nachba­rinnen und Nachbarn, ruft Euch gegen­seitig an! Aber auch ganz altmo­dische Briefe und Postkarten bereiten Freude. Wenn man sich schon nicht regel­mäßig treffen kann, dann sollte man doch vonein­ander hören oder lesen können. Außerdem müssen ältere Menschen Zugang zu digitalen Kommu­ni­ka­ti­ons­formen haben: Es ist doch toll, in einer Video­kon­ferenz mit Freun­dinnen und Familie nicht nur zu sprechen, sondern sie auch zu sehen. Aber nicht alle haben die notwen­digen Geräte, nicht alle können ein solches Gerät bedienen, wenn es im Haushalt vorhanden ist. Da ist es dann die Aufgabe der Nachbar­schaft, sich um alte und sehr alte Menschen zu kümmern und Kontakt zu halten.

Was kann man denn darüber hinaus tun, um ältere Menschen jetzt zu unterstützen?

Es gibt ja unglaublich viele kreative und tolle Ideen. Letztens habe ich ein Foto von einem Straßenbild gesehen: Da haben Kinder vor dem Haus ihrer Großmutter einen Blumen­strauß auf den Gehweg gemalt und darunter geschrieben: Oma, wir haben Dich lieb. Ich fand das sehr anrührend – und ich bin fest davon überzeugt, dass auch die Großmutter die Zuneigung ihrer Enkel gespürt hat. Aber natürlich ist auch handfeste Hilfe wichtig. Bei uns im Haus haben junge Leute einen Zettel an die Haustür gehängt und angeboten, für die Älteren im Haus einkaufen zu gehen. Da sehe ich übrigens eine große Chance für gegen­seitige Solida­rität. Die Jüngeren können einkaufen, die Älteren können etwas beitragen, was man auch zuhause machen kann: Wer eine Nähma­schine hat, näht Masken für die Hausbe­wohner. Alte Menschen sind keine Opfer, sondern ein wichtiger und aktiver Teil unserer Gesell­schaft. Da fällt zurzeit viel weg.

Könnten Sie Beispiele für das gesell­schaft­liche Engagement älterer Menschen nennen?

Der ebenfalls von uns durch­ge­führte Freiwil­li­gen­survey zeigt, dass das freiwillige Engagement in Deutschland in hohem Maße auch durch Ältere getragen wird. Viele Menschen im Renten­alter sind freiwillig engagiert, in ganz unter­schied­lichen Organi­sa­tionen. Von den „Tafeln“, die arme Menschen mit Essen versorgen, bis zu den „Omas gegen rechts“ – aber viele dieser Initia­tiven mussten aufgrund der Corona-Pandemie ihre Arbeit einstellen. Ganz wichtig ist auch das familiäre Engagement: Großeltern betreuen häufig ihre Enkel­kinder und unter­stützen damit junge Familien. Aber dieses familiäre Engagement ist zurzeit ja ebenfalls kaum möglich: Die Eltern möchten in der Regel nicht, dass sich die Großeltern bei den Enkeln anstecken. Wenn dieses Engagement wegfällt, müssen wir es durch staat­liche oder kommunale Angebote ausgleichen.

Aber sind die sehr alten Menschen, die über-80-Jährigen, nicht eigentlich doch vor allem eins: die Haupt­ri­si­ko­gruppe für Covid-19?

Mir ist es ganz wichtig, dass wir nicht pauscha­li­sierend über ältere Menschen sprechen. Nicht das Lebens­alter allein ist das Risiko für COVID-19, sondern der Gesund­heits­zu­stand und Vorer­kran­kungen, die mit steigendem Lebens­alter natürlich zunehmen. Es gibt gesunde ältere Menschen, und es gibt auch jüngere Menschen mit Vorer­kran­kungen. Klare Risiko-Kommu­ni­kation ist in diesen Zeiten wichtig, und da muss auf das insgesamt erhöhte Covid-19-Risiko bei älteren und sehr alten Menschen hinge­wiesen werden. Dennoch ist auch hier ein diffe­ren­ziertes Altersbild wichtig. In der aktuellen Situation kursieren häufig pauscha­li­sie­renden Aussagen über „die Alten“. Die damit trans­por­tierten negativen Alters­ste­reotype können zu einer Zunahme von Alters­dis­kri­mi­nierung führen. In der jetzigen Situation kann eine solche Alters­dis­kri­mi­nierung von erheb­licher Bedeutung sein: Wenn bei Entschei­dungen über knappe Ressourcen nicht das Individuum und seine ganz eigene Lebens­si­tua­tionen betrachtet wird, sondern nur das Alter zählt, dann wäre dies ein Beispiel für eine erheb­liche Altersdiskriminierung.

Es handelt sich bei Corona inzwi­schen um eine Pandemie, also die ganze Welt ist davon betroffen. Gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Älteren Unter­schiede zwischen Deutschland und anderen Ländern?

Wie wir alle wissen, gibt es große regionale Unter­schiede in der Zahl der an Covid-19 erkrankten Menschen. Wir wissen aller­dings bislang noch nicht, ob und welche Unter­schiede es mit Blick auf die Lebens­si­tua­tionen älterer Menschen gibt. In Teilen Italiens oder Spaniens war aber die Zahl der erkrankten und gestor­benen Menschen erschre­ckend hoch. Ein Problem ist in diesen Ländern aber ganz deutlich geworden: Wie wird entschieden, wenn es weniger Ressourcen gibt als notwendig sind, zu wenig Kranken­haus­betten, zu wenig Möglich­keiten der Beatmung auf Inten­siv­sta­tionen? Was wir unbedingt verhindern müssen, sind Situa­tionen, in denen Entschei­dungen allein aufgrund des Alters einer Person und nicht aufgrund detail­lierter Infor­ma­tionen zu ihrem Gesund­heits­zu­stand gefällt werden. Und noch ein persön­liche Anmerkung: Gerade in diesen schwie­rigen Zeiten ist es notwendig, dass Europa solida­risch sein muss. Endlich gibt es ja Bewegung in der Frage um finan­zielle Hilfen für besonders betroffene Länder.

Was denken Sie, werden die langfris­tigen Folgen der Corona-Krise für ältere Menschen sein?

Das kann wohl noch niemand absehen. Aber es wird wohl weitrei­chende Folgen für uns alle, Ältere wie Jüngere, geben. Zwei Dinge liegen sehr nahe: Erstens werden wir in Zukunft alle noch stärker als vorher die Möglich­keiten des Internets nutzen – zur Kommu­ni­kation, um uns zu infor­mieren, um Dienst­leis­tungen in Anspruch zu nehmen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass auch wirklich alle Menschen, unabhängig von Alter, Einkommen und Bildung Zugang zum Internet haben und die entspre­chenden Geräte und Programme bedienen können. Und zweitens: Mit hoher Wahrschein­lichkeit wird es zu einer Rezession kommen. Wer wird am meisten darunter leiden? Die Arbeits­lo­sigkeit wird steigen und viele Selbständige werden unter der Rezession leiden. Davon werden Menschen im Erwerbs­alter, aber auch Kinder und Jugend­liche betroffen. Wahrscheinlich wird es auch für jene alte Menschen schwer, die nur kleine Renten erhalten. Aber wie gesagt: Vieles wird noch passieren, an das wir zurzeit gar nicht denken.

Abschließend ein Tipp: Was können ältere Menschen tun, um sich in Corona-Zeiten fit zu halten?

Bewegung ist wichtig für Gesundheit im Alter. Man kann es nicht oft genug wieder­holen: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Nach draußen und Spazie­ren­gehen! Natürlich nur allein oder zu zweit – oder in großem Abstand, wenn man mit anderen einen Weg machen will. Und dann kann man auch Gymnastik zuhause machen. Schwierig, dafür die notwendige Disziplin aufzu­bringen. Aber wenn wir ehrlich sind: Das ist doch immer so.

Vielen Dank für das Interview!

Textquelle: Stefanie Hartmann, Deutsches Zentrum für Altersfragen

Bildquelle: Clemens Tesch-Römer, Foto: Deutsches Zentrum für Altersfragen