Falscher Ort kann aller­gische Reaktion auslösen

Schla­fendes Kind, Alessandro Zangrilli, Lizenz: Gemeinfrei

Falscher Ort kann aller­gische Reaktion auslösen

Forschungsteam der Univer­sität Tübingen entschlüsselt Mecha­nismus des Lernens fehlan­ge­passter aller­gi­scher Antworten auf eine neutrale Umgebung und die entschei­dende Rolle des Schlafs.

Aller­gische Reaktionen können ohne das auslö­sende Allergen wie Gräser- oder Birken­pollen auftreten, wenn der Aller­giker in die gleiche räumliche Umgebung zurück­kehrt, in der er zuvor dem Allergen ausge­setzt war. Aller­dings passiert eine solche Kondi­tio­nierung – das Lernen einer bedingten Reaktion auf eine an sich neutrale und ungefähr­liche Situation – nur nach einer Schlaf­phase, die auf die Kondi­tio­nierung folgt. Das hat eine neue Studie zum Einfluss psycho­lo­gi­scher Faktoren auf aller­gische Reaktionen ergeben, die ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Luciana Besedovsky und Professor Jan Born vom Institut für Medizi­nische Psycho­logie und Verhal­tens­neu­ro­bio­logie der Univer­sität Tübingen durch­ge­führt hat. Mit den Ergeb­nissen lässt sich zumindest teilweise erklären, warum aller­gische Beschwerden so häufig in einer Art Placebo-Reaktion ohne Vorhan­densein des Allergens beobachtet werden. Die Studie wurde in der Fachzeit­schrift Procee­dings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.

Für seine Studie rekru­tierte das Forschungsteam Probanden mit aller­gi­schem Schnupfen, die in einem neutralen Versuchsraum durch Verab­rei­chung eines Nasen­sprays mit ihrem jewei­ligen Allergen wie Gräser- oder Birken­pollen konfron­tiert wurden. Die Stärke der bei allen Probanden auf-tretenden aller­gi­schen Reaktion wurde jeweils über die Menge eines bestimmten Enzyms im Nasen­sekret gemessen. Die Hälfte der Probanden ging nach diesem Experiment für acht Stunden schlafen, die zweite Hälfte musste bis zum kommenden Abend wach bleiben. Eine Woche darauf wurde das Experiment im selben Versuchsraum wiederholt – nur dass dieses Mal keine Allergene verab­reicht wurden. »Die Probanden reagierten schon kurz nach Betreten des Versuchs­raums mit aller­gi­schem Schnupfen. Aller­dings nur die aus der Schlaf­gruppe«, sagt Besedovsky. Weder hätten die Versuchs­teil­nehmer der Wachgruppe aller­gisch auf die Rückkehr in den Versuchsraum reagiert noch hätte ein anderer Ort, an den die Probanden der Schlaf­gruppe in der zweiten Woche geführt wurden, eine solche Wirkung gehabt.

Schlaf verfestigt eine gelernte Assoziation zwischen Aller­genen und der spezi­fi­schen Umgebung. Allein die Rückkehr in diese Umgebung kann eine kondi­tio­nierte aller­gische Reaktion auslösen. Grafik: Luciana Besedovsky
Schneller Lernprozess

»Wie bei klassi­schen Lernpro­zessen aus anderen Zusam­men­hängen spielte die Schlaf­phase in un-serer Studie eine entschei­dende Rolle. Nur so verknüpfte das Gehirn eine bestimmte Umgebung fest mit einer aller­gi­schen Reaktion«, sagt Jan Born. Dies sei der erste Beleg dafür, dass allein ein bestimmter Ort eine aller­gische Reaktion auslösen kann. Die Forscher gehen davon aus, dass an der Kondi­tio­nierung durch die Umwelt, wie bei vielen Gedächt­nis­pro­zessen, die Hirnstruktur des Hippo­campus beteiligt ist. Dieser arbeite schlafabhängig.

»Erstaunlich ist, wie schnell das Immun­system die fehlan­ge­passte Reaktion erlernt. Im Experiment genügte eine einzige Aller­gengabe, um die aller­gische Reaktion mit der Umgebung zu verknüpfen«, setzt Besedovsky hinzu. Dass dieser Lernme­cha­nismus entschlüsselt werden konnte, helfe sowohl der Allergie- als auch der Schlaf­for­schung. Jedoch seien einfache Schluss­fol­ge­rungen zur Verbes-serung der Situation von Aller­gikern schwierig, da man auf Schlaf nicht verzichten könne – zumal dieser sich positiv auf andere, hilfreiche Immun­re­ak­tionen auswirke.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Luciana Besedovsky, Mona Benischke, Jörg Fischer, Amir S. Yazdi, Jan Born: Human sleep conso­li­dates allergic responses condi­tioned to the environ­mental context of an allergen exposure. Procee­dings of the National Academy of Sciences, 4. Mai 2020. Links zum Artikel:

https://www.pnas.org/content/early/2020/04/28/1920564117

https://dx.doi.org/10.1073/pnas.1920564117.

Textquelle: Dr. Karl Guido Rijkhoek, Eberhard Karls Univer­sität Tübingen

Bildquelle: Schla­fendes Kind, Alessandro Zangrilli, Lizenz: Gemeinfrei

Grafik­quelle: Schlaf verfestigt eine gelernte Assoziation zwischen Aller­genen und der spezi­fi­schen Umgebung. Allein die Rückkehr in diese Umgebung kann eine kondi­tio­nierte aller­gische Reaktion auslösen. Grafik: Luciana Besedovsky