Exakte Genkon­trolle durch Licht

Das Bild zeigt Zellen, in die das Gen für einen grünen Farbstoff einge­bracht wurde. Bei Beleuchtung wird die mRNA-Bauan­leitung des Farbstoffs nicht abgebaut. Die Zellen leuchten daher grün. Foto: Sebastian Pils/AG Mayer/Uni Bonn

Exakte Genkon­trolle durch Licht

Ein neuar­tiger optischer Schalter erlaubt es, die Lebenszeit geneti­scher „Abschriften“ exakt zu kontrol­lieren. Diese dienen der Zelle als Bauan­leitung für die Herstellung von Proteinen. Die Methode wurde von Wissen­schaftlern der Univer­si­täten Bonn und Bayreuth entwi­ckelt. Sie könnte die Unter­su­chung dynami­scher Prozesse in lebenden Zellen deutlich voran­treiben. Die Studie ist in der Zeitschrift Nature Commu­ni­ca­tions erschienen.

Bildlich gesprochen, enthält jede mensch­liche Zelle in ihrem Kern eine riesige Bibliothek mit Zehntau­senden von Büchern, den Genen. Jedes dieser Bücher wiederum enthält die Bauan­leitung eines Proteins. Wenn die Zelle ein bestimmtes Protein benötigt, wird von der entspre­chenden Anleitung eine Abschrift herge­stellt. Diese Kopien werden mRNAs genannt (RNA ist eine leicht abgewan­delte Form der Erbsub­stanz DNA).

Ein zellu­lärer Mecha­nismus sorgt dafür, dass die mRNA-Abschriften nach kurzer Zeit wieder »geschreddert« werden. So ist sicher­ge­stellt, dass das Protein nur so lange produ­ziert wird, wie es tatsächlich benötigt wird. Wissen­schaftler sind schon vor einigen Jahrzehnten auf die Idee gekommen, diesen Schredder für eigene Zwecke zu nutzen: Indem sie bestimmten mRNAs ganz gezielt eine Markierung anheften, erreichen sie, dass die Abschriften gar nicht erst als Bauan­leitung dienen, sondern direkt vernichtet werden – ein Prozess, der auch als RNA Silencing (RNA-Stumm­schaltung) bezeichnet wird. Der Zelle fehlt dann das entspre­chende Protein. So lässt sich heraus­finden, für welche Funktion es eigentlich zuständig wäre.

Bakte­ri­en­mo­lekül als licht­ab­hän­giger Schalter

Der Ansatz, den die Gruppen aus Bonn und Bayreuth nun publi­ziert haben, baut auf dieser Methode auf. Er ist aller­dings längst nicht so grobschlächtig, sondern erlaubt eine weitaus diffe­ren­ziertere Kontrolle über die Lebens­dauer der mRNA-Kopien. »Wir nutzen ein bakte­ri­elles Molekül, um das Zerschreddern der mRNA-Abschriften mit Hilfe von Licht zu steuern«, erklärt Prof. Dr. Günter Mayer, der am LIMES-Institut der Univer­sität Bonn die Abteilung Chemische Biologie und Chemische Genetik leitet.

Das Bakterien-Molekül mit dem Kürzel PAL fungiert dabei als eine Art Schalter. Es ändert unter Einfluss von blauem Licht seine Gestalt. Dabei wird eine Tasche freigelegt, die an bestimmte Moleküle binden kann. »Wir haben eine riesige Bibliothek künstlich herge­stellter kurzer RNA-Moleküle durch­sucht, sogenannter Aptamere«, sagt Mayer. »Dabei sind wir auf ein Aptamer gestoßen, das sehr gut zu der Tasche im PAL-Molekül passt.«

Die Wissen­schaftler haben dieses Aptamer nun an eine der moleku­laren Markie­rungen gekoppelt, die sich an mRNAs heften können und diese damit zum Abbau freigeben. »Wenn wir die Zelle mit blauem Licht bestrahlen, bindet PAL über das Aptamer an die Markierung und setzt sie damit außer Gefecht«, erläutert Mayers Mitar­beiter Sebastian Pilsl. »Die mRNA wird dann also nicht vernichtet, sondern in das entspre­chende Protein übersetzt.« Sobald die Forscher das blaue Licht ausschalten, lässt PAL die Markierung wieder los. Jetzt kann sie sich an die mRNA heften, die dann geschreddert wird.

Auf diese Weise können die Wissen­schaftler künftig unter­suchen, wo und wann ein Protein in einer Zelle genau benötigt wird – einfach, indem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Bereich der Zelle in blaues Licht tauchen und sich dann die Konse­quenzen ansehen. In der aktuellen Studie haben sie das beispiels­weise probe­weise für Proteine umgesetzt, die bei der Regulation des Zellzyklus und der Zellteilung eine wichtige Rolle spielen. Die Verbindung aus Aptamer und Abbau-Markierung wird dabei auf gentech­ni­schem Wege in die Zelle einge­schleust. Diese erzeugt das licht­ab­hängige Abbau­signal danach also selbst; es muss nicht von außen zugeführt werden.

Gen-Abschriften lassen sich gezielt ausschalten

Das Aptamer lässt sich mit belie­bigen Markie­rungen kombi­nieren, von denen jede wiederum als Schredder-Signal für eine bestimmte mRNA dient. »Mit dieser Methode lässt sich daher praktisch jedes mRNA-Molekül in der Zelle kontrol­liert ausschalten«, betont Prof. Dr. Andreas Möglich von der Univer­sität Bayreuth. In der jetzt veröf­fent­lichten Pilot­studie funktio­nierte das Ganze ebenso einfach wie zuver­lässig. Die Wissen­schaftler sehen in ihrer Methode daher großes Potenzial für die Erfor­schung dynami­scher Prozesse in lebenden Zellen und Organismen.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Sebastian Pilsl, Charles Morgan, Moujab Choukeife, Andreas Möglich und Günter Mayer: Optori­bo­ge­netic control of regulatory RNA molecules; Nature Commu­ni­ca­tions; dx.doi.org/10.1038/s41467-020–18673‑5

Textquelle: Johannes Seiler, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univer­sität Bonn

Bildquelle: Das Bild zeigt Zellen, in die das Gen für einen grünen Farbstoff einge­bracht wurde. Bei Beleuchtung wird die mRNA-Bauan­leitung des Farbstoffs nicht abgebaut. Die Zellen leuchten daher grün. Foto: Sebastian Pils/AG Mayer/Uni Bonn