Epilepsie: Hippo­campus hat eigenen Rhythmus

Schnitt durch das mensch­liche Gehirn. Aufnahme: Dr. Roshan Nasimudeen, Government Medical College, Kozhikode. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Epilepsie: Hippo­campus hat eigenen Rhythmus

Der Hippo­campus ist ein Teil des Gehirns und unter anderem wesentlich an vielen Erinne­rungs- und Lernpro­zessen beteiligt. Er übernimmt Inhalte aus dem Kurzzeit- in das Langzeit­ge­dächtnis, wo sie gespei­chert und bei Bedarf wieder abgerufen werden können. Ein inter­na­tio­nales Forscher-Konsortium fand jetzt heraus, dass diese Prozesse nach einem eigenen tages­zeit­lichen Rhythmus ablaufen und die moleku­laren Aktivi­täten im Verlauf von Tag und Nacht erheblich schwanken. Diese Ergeb­nisse ebnen den Weg, besser zur verstehen, wie sich unser Lern- und Erinne­rungs­ver­mögen von Stunde zu Stunde ändert. Gleich­zeitig können sie helfen, Epilep­sie­er­kran­kungen wirkungs­voller zu behandeln – an Epilepsie Erkrankte leiden häufig unter Gedächtnisstörungen.

In dem breit angelegten Projekt arbei­teten franzö­sische, ameri­ka­nische, polnische und deutsche Forsche­rinnen und Forscher gemeinsam – von der Stiftung Tierärzt­liche Hochschule Hannover (TiHo) war die Arbeits­gruppe von Professor Dr. Wolfgang Löscher, Institut für Pharma­ko­logie, Toxiko­logie und Pharmazie, beteiligt. Das inter­na­tionale Team veröf­fent­lichte die Studie in der renom­mierten Wissen­schafts­zeit­schrift Science Advances.

Eigener 24-Stunden-Rhythmus

Der Tag-Nacht-Zyklus reguliert die Aktivität fast aller auf der Erde lebenden Organismen. Beim Menschen steuert diese sogenannte zirka­diane Uhr viele biolo­gische Prozesse in einem 24-Stunden-Zyklus. Dazu zählen Körper­tem­pe­ratur, Schlaf, Muskel­ak­ti­vität sowie Gedächtnis- und Lernfä­higkeit. Fast alle Organe haben zudem einen eigenen zirka­dianen Rhythmus, mit dem sie die für sie spezi­fi­schen Funktionen regeln, einschließlich Herz, Leber, Darm – und Gehirn. Im Gehirn befindet sich im supra­chi­as­ma­ti­schen Kern die zirka­diane Hauptuhr des Körpers und gibt den 24-Stunden-Rhythmus vor. »Bisher dachten wir, dass im Gehirn nur der supra­chi­as­ma­tische Kern als Taktgeber fungiert«, berichtet Löscher. Nun fanden die Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler aber heraus, dass auch im Hippo­campus entspre­chende genetische und molekulare Prozesse aktiv sind. »Diese Erkennt­nisse geben uns erste Hinweise, um zu verstehen, wie und warum sich unsere geistigen Fähig­keiten im Verlauf der 24 Stunden eines Tages ändern und warum es zum Beispiel nur nachts zur Konso­li­dierung von Gedächt­nis­in­halten kommt«, erklärt er.

Bedeutung für die Epilepsieforschung

Ein zweiter Aspekt dieser Studie betrifft die Tempo­ral­lap­pen­epi­lepsie – die häufigste Epilep­sieform bei Erwach­senen. Bei 80 Prozent der Patienten werden Anfälle zirkadian reguliert. Das heißt, dass sie zu einer bestimmten Tageszeit und nicht zufällig bei einem Patienten auftreten. Es ist bekannt, dass der Hippo­campus an dieser Form der Epilepsie beteiligt ist, und betroffene Patienten häufig Gedächtnis- und Lernde­fizite haben, die vom Hippo­campus abhängen. Die Forsche­rinnen und Forscher zeigten in ihrer Studie, dass sich die Schwan­kungen der moleku­laren Aktivi­täten im Hippo­campus bei erkrankten und gesunden Tieren stark unter­scheiden: »Ein epilep­ti­scher Hippo­campus funktio­niert anders als ein gesunder Hippo­campus«, sagt Löscher.

Dieses Ergebnis könnten helfen, zu verstehen, warum Anfälle zu einer bestimmten Tageszeit häufiger auftreten. »Eventuell helfen sie, die Anfälle medika­mentös besser zu kontrol­lieren«, so Löscher. »Außerdem ebnen die Unter­su­chungen den Weg für ein besseres Verständnis kogni­tiver Defizite und neuer thera­peu­ti­scher Ansätze bei Patienten.«

Origi­nal­pu­bli­kation:

»The circadian dynamics of the hippo­campal transcriptome and proteome is altered in experi­mental temporal lobe epilepsy«, J. A. Müller, S. Schoch, A. Becker, W. Löscher, M. Guye, P. Sassone-Corsi, K. Lukasiuk1, P. Baldi, C. Bernard, Science Advances: https://advances.sciencemag.org/content/6/41/eaat5979

Textquelle: Sonja von Brethorst, Stiftung Tierärzt­liche Hochschule Hannover

Bildquelle: Schnitt durch das mensch­liche Gehirn. Aufnahme: Dr. Roshan Nasimudeen, Government Medical College, Kozhikode. Lizenz: CC BY-SA 3.0