Diabe­tes­stra­tegie: Eine verpasste Chance?

Mecha­nismus der normalen Blutzu­cker­ab­sorption (links) vs. Insulin­re­sistenz bei Typ-2-Diabetes (rechts). Grafik: Manu5, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Diabe­tes­stra­tegie: Eine verpasste Chance?

Die Deutsche Diabetes Gesell­schaft (DDG) begrüßt die Verab­schiedung der ersten Natio­nalen Diabe­tes­stra­tegie im Bundestag – doch es ist leider nur eine »Strategie light« geworden. Wichtige Maßnahmen, die die WHO zu Diabetes empfiehlt, fehlen, andere stehen ohne Bezug neben­ein­ander. In den Bereichen Prävention, Versorgung, Forschung und Nachwuchs­för­derung in der Diabe­to­logie ist die Politik hinter ihren Möglich­keiten geblieben.

Die DDG begrüßt die heutige Verab­schiedung der Natio­nalen Diabe­tes­stra­tegie im Bundestag. Nach jahre­langen Forde­rungen können jetzt wichtige Punkte politisch umgesetzt werden, die Millionen Menschen mit Diabetes und künftigen Genera­tionen zugute­kommen. „Doch wie leider zu erwarten war, erhält Deutschland mit diesem Beschluss nur eine Nationale Diabe­tes­stra­tegie ‹Light‹«, bedauert DDG Präsi­dentin Professor Dr. med. Monika Kellerer im Anschluss der Plenar­sitzung. Denn in dem Beschluss, auf den sich der Bundestag heute geeinigt hat, fehlen wesent­liche Bausteine. »Es kann sich bei der Natio­nalen Diabe­tes­stra­tegie nur um einen ersten Aufschlag handeln, nun müssen den Willens­be­kun­dungen auch Taten folgen«, so Kellerer.

In dem Entwurf kommt insbe­sondere die Ernährung zu kurz – ein wesent­licher Kern der Diabe­tes­prä­vention. »Die Lebens­mit­tel­in­dustrie muss hier mehr in die Verant­wortung genommen werden, denn ihre Produkte tragen ganz wesentlich zu gesundem oder ungesundem Essver­halten bei«, erklärt DDG Geschäfts­füh­rerin Barbara Bitzer. In Bezug auf Softdrinks etwa nennt die Diabe­tes­stra­tegie aber weiterhin nur das Ziel einer freiwil­ligen Zucker­re­duktion von 15 Prozent bis Ende 2025. »Dieses Ziel ist viel zu gering und damit quasi wirkungslos, um neue Diabe­tes­fälle zu verhindern«, sagt Bitzer. Noch immer setze die Politik auch viel zu sehr auf das indivi­duelle Verhalten und ignoriere den enormen Einfluss der Alltags­um­gebung und des Lebens­mit­tel­an­gebots. »Deutschland braucht eine Nationale Diabe­tes­stra­tegie, die verbind­liche Maßnahmen und ambitio­nierte Ziele im Bereich Ernährung umfasst, ansonsten ist es keine Strategie«, betont Bitzer.

Seit Jahren weist die DDG schon darauf hin, dass eine verbind­liche Zucker­re­duktion in anderen Ländern bereits erfolg­reich umgesetzt wurde und positiven Effekte wissen­schaftlich belegt sind. Doch in diesem Beschluss nehmen die Fraktionen erneut eine passive Haltung gegenüber der Industrie ein. Es findet sich lediglich ein Hinweis, dass die Forde­rungen der wissen­schaft­lichen Fachge­sell­schaften und Kranken­kassen »zu prüfen« seien und sich für eine Ausweitung des Engage­ments der Branche einge­setzt werden müsse. »Eine so unver­bind­liche und vage Aussage ist wertlos«, so Bitzer.

DDG-Präsi­dentin Professor Monika Kellerer. Foto: DDG
Am Freitag hat der Bundestag die nationale Diabetes-Strategie verab­schiedet. Nach zähem Ringen hat sich die Koalition auf die Richtung geeinigt, doch wie bewertet die Deutsche Diabetes Gesell­schaft (DDG) den Plan? In dieser Episode des „ÄrzteTag“-Podcasts erklärt die DDG-Präsi­dentin Professor Monika Kellerer, welche Maßnahmen ihr fehlen, warum sie die mangelnde Daten­aus­wertung aus den Disease-Management-Programmen für einen Skandal hält und wieso eine Leitlinien-gerechte Therapie in eine nationale Diabetes-Strategie eingehen muss. (Dauer: 19:57 Minuten) – Quelle: »Was taugt die nationale Diabetes-Strategie, DDG-Chefin Kellerer?«

»ÄrzteTag«-Podcast vom 2.7.20

Eine dauer­hafte Verbes­serung der sektoren­über­grei­fenden Versorgung und der trans­la­tio­nalen Forschung ist notwendig, um zusätzlich zu den Präven­ti­ons­maß­nahmen der Diabetes-Pandemie Einhalt bieten zu können. Dies wurde auch heute in der Bundes­tags­de­batte mehrfach betont. Derzeit erkranken täglich ca. 1.000 Menschen in Deutschland an Diabetes, Schät­zungen gehen von einer Zunahme von jetzt 7,5 auf 12 Millionen Betroffene im Jahr 2040 aus. Diabetes mit seinen Begleit- und Folge­er­kran­kungen verkürzt die Lebens­er­wartung statis­tisch um mindestens sechs Jahre. »Wir brauchen einen politi­schen Willen mit konkretem und verbind­lichem Rahmen, um die Versorgung besser steuern zu können und das Gesund­heits­wesen in Zukunft nicht zu überlasten«, sagt Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Presse­sprecher der DDG und stell­ver­tre­tender Ärztlicher Direktor an der Medizi­ni­schen Klinik, Abteilung Endokri­no­logie, Diabe­to­logie und Nephrologie, am Univer­si­täts­kli­nikum Tübingen.

In der Strategie wird auch der medizi­nische Nachwuchs in der Diabe­to­logie nicht ausrei­chend berück­sichtigt, stellt Kellerer, Ärztliche Direk­torin des Zentrums für Innere Medizin I am Marien­hos­pital Stuttgart, fest und warnt: »Wenn die Zahl der klini­schen Lehrstühle an den Univer­si­täten weiter so rasant abnimmt wie in den vergan­genen Jahren, wird es bald kaum noch medizi­ni­sches Fachper­sonal geben, das zu einer guten Versor­gungs­struktur in Deutschland beitragen kann. Dieser wichtige Baustein wurde nicht berück­sichtigt, was das Fundament, auf dem die Nationale Diabe­tes­stra­tegie fußt, porös macht.« Begrü­ßenswert sind Maßnahmen zur Verbes­serung des Disease Management Programms (DMP), zur Diabe­tes­for­schung sowie dem Ausbau der teleme­di­zi­ni­schen Infra­struktur. »Auch, dass Adipo­sitas im Beschluss vermehrt in den Fokus genommen wird, ist ein wichtiger Schritt«, ergänzt Kellerer. Das Krank­heitsbild soll verstärkt in den Katalog der ärztlichen Fort- und Weiter­bildung aufge­nommen werden, eine inter­dis­zi­plinäre, multi­modale, indivi­duelle Versorgung ermög­licht und für den Ausbau der diesbe­züg­lichen Lehrstühle geworben werden.

»Es gibt viele gute Ansätze in dem Entwurf, die in Zukunft inhaltlich ausge­füllt werden müssen und besten­falls noch Ergän­zungen finden«, resümiert die Diabe­to­login. Sie verweist auf die ausste­hende Erarbeitung eines Eckpunk­te­pa­piers, das schließlich mit konkreten Maßnahmen der Weiter­ent­wicklung des Präven­ti­ons­ge­setzes dienen soll. Hier erhofft sich die DDG wesent­liche Nachbesserungen.

Textquelle: Christina Seddig, Deutsche Diabetes Gesellschaft

Bildquelle: (oben) Mecha­nismus der normalen Blutzu­cker­ab­sorption (links) vs. Insulin­re­sistenz bei Typ-2-Diabetes (rechts). Grafik: Manu5, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Bildquelle: (unten) DDG-Präsi­dentin Professor Monika Kellerer. Foto: DDG