Dem Virus Grenzen setzen

Grenz­kon­trollen an der Europa­brücke zwischen Kehl und Straßburg an der Grenze zwischen Deutschland und Frank­reich am 16. März 2020. Foto: Leonhard Lenz, Lizenz: CC0

Dem Virus Grenzen setzen

Frühzeitige Reise­be­schrän­kungen haben wesentlich dazu beigetragen, die Ausbreitung des Corona­virus zu verlang­samen und die durch Covid-19 verur­sachten Todes­fälle niedrig zu halten. So hatten Länder, die bereits im Februar oder Anfang März Einrei­se­be­schrän­kungen verhängten, bis zur Jahres­mitte deutlich weniger Corona-Tote zu beklagen. Das ist das Ergebnis einer Studie von Ruud Koopmans, Direktor am Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozial­for­schung (WZB), in der er für 181 Länder unter­sucht hat, wie inter­na­tionale Reise­be­schrän­kungen und Covid-19-Sterb­lich­keits­raten zusammenhängen.
Tabelle der Sterb­lichkeit nach Ländern. Grafik: WZB
Anzahl der Länder, Reise­be­schrän­kungen. Grafik: WZB

Bis Mitte März 2020 waren die WHO, die EU und auch zuständige Behörden in Deutschland der Annahme, dass sich das Virus durch Grenz­schlie­ßungen nicht aufhalten lasse. »Diese Annahme war ein fataler Irrtum«, sagt Ruud Koopmans und fordert: »Reise­be­schrän­kungen sollte ein viel größeres Gewicht beigemessen werden. Das gilt für die Eindämmung bevor­ste­hender Wellen der aktuellen Pandemie, aber auch für ähnliche Pandemien in Zukunft.«

In seiner Studie wendet er sozio­lo­gische Theorien der Netzwerk­dif­fusion auf die Verbreitung von Covid-19 an und liefert eine wichtige Erklärung für die zum Teil erheb­lichen inter­na­tio­nalen Morta­li­täts­un­ter­schiede. Länder, die stark dem inter­na­tio­nalen Reise- und Touris­mus­verkehr ausge­setzt sind – wie Frank­reich, Italien und die USA – haben deutlich mehr Todes­fälle in Folge von Covid-19 zu verzeichnen. Länder mit einem niedrigen Reise­ver­kehrs­auf­kommen sowie Insel­staaten haben dagegen wesentlich niedrigere Sterblichkeitsraten.

Angesichts dieser großen Bedeutung von Reise­ver­kehrs­strömen unter­sucht die Studie die Wirkung von Einrei­se­ver­boten und verpflich­tenden Quaran­tänen für Reise­rück­kehrer auf die Zahl der Todes­fälle durch Covid-19. Diese Maßnahmen waren umso wirksamer, je früher ein Land reagierte. Entscheidend war, dass Reise­be­schrän­kungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, als die lokale Verbreitung des Virus noch überschaubar war. Vergleicht man die Gruppe der Länder, die bis Anfang März Reise­be­schrän­kungen einführten, mit der Gruppe der Länder, die dies erst ab Mitte März oder gar nicht taten, zeigt sich, dass die Morta­lität in der ersten Länder­gruppe um geschätzt 62 Prozent niedriger ist als in der zweiten Gruppe von Ländern.

Zu den Ländern, die frühzeitig Reise­be­schrän­kungen einführten und dadurch die Todes­fälle erheblich begrenzen konnten, gehören zum Beispiel Australien, Israel und Tsche­chien. Länder, die spät reagierten, sind etwa Großbri­tannien, Frank­reich und Brasilien. Deutschland führte Reise­be­schrän­kungen eher spät ein, aller­dings nicht so spät wie die letzt­ge­nannten Länder. Die Studie liefert ebenfalls Hinweise darauf, welche Art von Reise­be­schrän­kungen den größten Effekt hatten. So erzielten obliga­to­rische Quaran­tänen für Einrei­sende mehr Wirkung als Einrei­se­verbote. Der Grund dafür dürfte sein, dass Einrei­se­verbote oft Ausnahmen für zurück­keh­rende Bürger und Personen mit ständigem Wohnsitz enthalten. Im Gegensatz dazu gelten Quaran­tä­ne­maß­nahmen in der Regel für alle Einrei­senden, unabhängig von ihrer Natio­na­lität oder ihrem Aufent­halts­status. Die Studie zeigt ebenfalls, dass gezielte Reise­be­schrän­kungen (hier gemessen an Einrei­se­ver­boten und Quaran­tänen für Reisende aus China und Italien) effizi­enter waren als Beschrän­kungen, die auf alle auslän­di­schen Länder abzielten.

Origi­nal­pu­bli­kation:

A Virus That Knows No Borders? Exposure to and Restric­tions of Inter­na­tional Travel and the Global Diffusion of COVID-19

https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2020/vi20-103.pdf

Textquelle: Dr. Harald Wilko­szewski, Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozial­for­schung gGmbH

Bildquelle: Grenz­kon­trollen an der Europa­brücke zwischen Kehl und Straßburg an der Grenze zwischen Deutschland und Frank­reich am 16. März 2020. Foto: Leonhard Lenz, Lizenz: CC0

Grafik­quelle: Tabelle der Sterb­lichkeit nach Ländern. Grafik: WZB

Grafik­quelle: Anzahl der Länder, Reise­be­schrän­kungen. Grafik: WZB