COVID-19: Verlauf mit Blut vorhersagen?

COVID-19: Verlauf mit Blut vorhersagen?

Ein Forschungsteam der Charité – Univer­si­täts­me­dizin Berlin und des Francis Crick Institute hat im Blut von COVID-19-Patienten 27 Proteine identi­fi­ziert, die je nach Schwere der Erkrankung in unter­schied­licher Menge auftreten. Diese Biomarker-Profile könnten in Zukunft zur Vorhersage des Krank­heits­ver­laufs genutzt werden und so behan­delnden Ärzten die Entscheidung über die Art der Therapie erleichtern. Die Studie ist jetzt im Fachma­gazin »Cell Systems« erschienen.

Menschen reagieren sehr unter­schiedlich auf eine Infektion mit dem neuar­tigen Corona­virus SARS-CoV‑2. Während bei einigen Patien­tinnen und Patienten keine Symptome auftreten, verläuft die Erkrankung in anderen Fällen schwer­wie­gender und zum Teil tödlich. Es besteht deshalb ein dringender Bedarf nach biolo­gi­schen Merkmalen – den sogenannten Biomarkern –, die eine zuver­lässige Vorhersage des Erkran­kungs­ver­laufs und eine genaue Bestimmung des Schwe­re­grads erlauben. Für die Suche nach geeig­neten Biomarkern nutzte eine Forschungs­gruppe unter Leitung von Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie der Charité und Einstein-Professor, nun modernste Analy­se­me­thoden, um die Menge verschie­dener Proteine im Blutplasma in großer Geschwin­digkeit zu bestimmen. Mit diesem Ansatz gelang es den Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftlern, eine größere Zahl von Protein-Biomarkern im Blutplasma von COVID-19-Patienten zu erkennen, die mit der Schwere der Erkrankung zusammenhingen.

Die Massen­spek­tro­metrie ist ein techni­sches Verfahren zur Analyse der Masse von Molekülen und Atomen. Die zu unter­su­chende Substanz wird dabei in eine Gasphase überführt und anschließend ionisiert. Die entstan­denen Ionen werden mithilfe eines elektri­schen Feldes stark beschleunigt und in der Analy­se­einheit des Massen­spek­tro­meters nach dem Verhältnis ihrer Masse zu ihrer Ladung sortiert. Das Massen­spektrum einer Substanz gibt Aufschluss über ihre molekulare Zusam­men­setzung. Daher eignet sich die Massen­spek­tro­metrie zur Identi­fi­zierung, Charak­te­ri­sierung und Quanti­fi­zierung einer Vielzahl von Biomo­le­külen, wie Proteinen, Metaboliten, Zuckern und Fetten, die sich je nach Krank­heitsbild und Individuum anders verhalten. Foto: Arne Sattler / Charitè

Für ihre Analyse entwi­ckelten die Forschenden eine Massen­spek­tro­metrie-Plattform zur Hochdurchsatz-Analyse, mit der das Proteom – also die Gesamtheit aller vorhan­denen Proteine – von 180 Proben pro Tag sehr präzise gemessen werden kann. Mit dieser Techno­logie unter­suchte das Team das Blutplasma von 31 Frauen und Männern mit unter­schiedlich stark ausge­prägten COVID-19-Symptomen, die an der Charité behandelt wurden. So konnten die Forschenden 27 Proteine identi­fi­zieren, deren Konzen­tration im Blut abhängig von der Schwere des Krank­heits­ver­laufs erhöht oder verringert war. Diese moleku­laren Signa­turen validierten sie dann bei einer Gruppe von 17 COVID-19-Patienten und 15 gesunden Probanden. Dabei zeigte sich, dass die Protein-Signa­turen den Schwe­regrad der Erkrankung – gemäß den Kriterien der Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sation – bei den Patienten korrekt beschrieben.

»Diese Ergeb­nisse legen die Basis für zweierlei Anwen­dungs­mög­lich­keiten: Zum einen könnte unsere Methode in Zukunft zur Vorhersage der Krank­heits­pro­gnose genutzt werden«, erklärt Prof. Ralser, der auch Gruppen­leiter am Francis Crick Institute in London ist. »Sie soll also behan­delnden Medizinern ermög­lichen, anhand einer frühen Blutun­ter­su­chung abschätzen zu können, ob ein COVID-19-Patient schwere Symptome entwi­ckeln wird oder nicht. Und das kann poten­ziell Leben retten: Je früher Ärztinnen und Ärzte wissen, welche Patienten intensive medizi­nische Behandlung benötigen, desto schneller können sie die verfüg­baren Thera­pie­mög­lich­keiten ausschöpfen.« Um diesem Ziel näher zu kommen, werden die Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler nun unter­suchen, wie sich die Signa­turen der Biomarker über den zeitlichen Verlauf der Krankheit verändern.

»Zum anderen liegt die Nutzung unserer Techno­logie als diagnos­ti­scher Test nahe, der im Krankenhaus Klarheit über den Zustand des Patienten gibt – unabhängig davon, wie der Kranke selbst seine Verfassung beschreibt«, ergänzt der Bioche­miker. »Unter Umständen scheinen die Symptome des Patienten nämlich besser, als sein Gesund­heits­zu­stand eigentlich ist – da kann eine objektive Einschätzung per Biomarker-Profil sehr wertvoll sein.« Das Forschungsteam wird das Verfahren nun an einer größeren Anzahl von Patienten prüfen, um weiter auf einen solchen diagnos­ti­schen Test hinzuarbeiten.

Die Verän­de­rungen im Protein-Profil

Unter den 27 Proteinen, die den Schwe­regrad einer COVID-19-Erkrankung anzeigen, fanden sich einige, die bisher nicht mit einer Immun­antwort in Verbindung gebracht worden waren. Zu den identi­fi­zierten Biomarkern gehörten aber beispiels­weise auch Gerin­nungs­fak­toren und Entzün­dungs­re­gu­la­toren. Einige dieser Proteine wirken auf moleku­larer Ebene auf das entzün­dungs­för­dernde Inter­leukin 6 ein, das ersten Studien zufolge mit schweren COVID-19-Symptomen zusam­men­hängt. Eine Reihe der jetzt identi­fi­zierten Biomarker könnten daher geeignete Angriffs­punkte für neue Therapien darstellen.

Origi­nal­pu­bli­kation: https://doi.org/10.1016/j.cels.2020.05.012

Textquelle: Manuela Zingl, Charité Berlin

Bildquelle: (oben) Mithilfe von Massen­spek­tro­metrie haben Forschende Biomarker-Profile identi­fi­ziert, die den Schwe­regrad einer COVID-19-Erkrankung beschreiben und zukünftig für die Vorhersage des Krank­heits­ver­laufs genutzt werden könnten. Foto: Arne Sattler / Charitè