Wie das Corona­virus die Lunge schädigt

Wie das Corona­virus die Lunge schädigt

Eine Infektion mit dem Corona­virus kann ebenso wie eine schwere Grippe die Atemwege massiv schädigen und zu einem tödlichen Lungen­ver­sagen führen. Welche moleku­laren Verän­de­rungen SARS-CoV‑2 im Lungen­gewebe von Patien­tinnen und Patienten genau auslöst und wie sich diese von den Schäden durch das Influ­en­za­virus unter­scheiden, ist bislang jedoch kaum bekannt.

Um die Krank­heits­pro­zesse besser zu verstehen, hat jetzt ein inter­na­tio­nales Forschungsteam aus Deutschland, den USA, Belgien und der Schweiz unter der Leitung von Professor Dr. Danny Jonigk, Lungen­spe­zialist am Institut für Patho­logie der Medizi­ni­schen Hochschule Hannover (MHH), Lungen von an COVID-19 Verstor­benen unter­sucht und mit denen von an Grippe (Influenza) Verstor­benen verglichen. „Die Studie verbessert unser Verständnis, warum die Lungen­funktion bei SARS-CoV-2-Infizierten mit schweren Krank­heits­ver­läufen so stark beein­trächtigt ist“, betont Professor Jonigk. Die Ergeb­nisse der Unter­su­chung mit dem Titel „Pulmonary Vascular Endothe­lia­litis, Throm­bosis and Angio­ge­nesis in COVID-19“ hat jetzt die renom­mierten Fachzeit­schrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.

Mikro­thromben verstopfen die feinsten Gefäße

„Wir haben die Gewebe­proben erstmals syner­gis­tisch mit einem sehr breiten Metho­den­spektrum von Mikro-Compu­ter­to­mo­grafie, 3D-Elektro­nen­mi­kro­skopen und verschie­denen moleku­lar­bio­lo­gi­schen Methoden unter­sucht, um die Wege von SARS-CoV‑2 aufzu­spüren“, sagt Professor Jonigk. Dabei konnten die Wissen­schaftler zunächst das bereits bekannte akute Schadens­muster in der Lunge von COVID-19- Patienten nachweisen, den sogenannten diffusen Alveo­lar­schaden. Dieser liegt vor, wenn sich die Wände der Lungen­bläschen entzünden, flächenhaft von Eiweiß­ab­la­ge­rungen bedeckt werden und so die Sauer­stoff­zufuhr in das Blut erschweren. „Wir haben außerdem eine massive Anzahl von Blutge­rinnseln in allen Abschnitten der Blutgefäße in der Lunge gefunden, vor allem aber in den feinsten Gefäßen, den Kapil­laren“, sagt der Pathologe. „Diese Mikro­thromben verstopfen die feinen Lungen­gefäße und vergrößern so zusätzlich die Atemnot des Patienten.“ Das Phänomen gebe es zwar auch in schwer geschä­digten Lungen nach Influenza-Infek­tionen, aber die Anzahl dieser kleinen Verstop­fungen sei bei Grippe­toten wesentlich geringer.

Besonders auffällig ist zudem ein Befund, den Mediziner ansonsten vorrangig nur von Tumor­er­kran­kungen, Autoim­mun­krank­heiten oder Vernar­bungs­pro­zessen kennen: SARS-CoV‑2 löst offenbar eine besondere Form von Gefäß­neu­bil­dungen in der Lunge aus. „Diese sogenannte intus­sus­zeptive Neoan­gio­genese ist bisher im Rahmen des diffusen Alveo­lar­schadens noch nicht beschrieben worden und unter­scheidet COVID-19 grund­legend von vergleichbar schweren Lungen­in­fek­tionen durch Influ­en­za­viren“, betont Professor Jonigk und fasst zusammen: „Die drei in unserer Studie erstmals umfassend beschrie­benen Verän­de­rungen innerhalb der Lunge bei SARS-CoV-2-Infek­tionen sind die massive Blutge­fäß­schä­digung, die überschie­ßende Blutge­rinnung mit Verstopfung der feinsten Lungen­gefäße und die für COVID-19 charak­te­ris­tische Gefäßneubildung.“

Die Ergeb­nisse der Studie bewertet der Pathologe als weiteres Puzzleteil zu einer Entschlüs­selung von COVID-19. Gelöst sei das Rätsel um das Corona­virus aber noch lange nicht. Weitere Studien seien erfor­derlich, um die Mecha­nismen der Gefäß­ver­än­de­rungen zu verstehen und letztlich in thera­peu­tische Ansätze umzumünzen.

Origi­nal­pu­bli­kation: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2015432

Textquelle: Stefan Zorn, Medizi­nische Hochschule Hannover

Bildquelle: Blick durch das Mikroskop – für COVID-19 typische Verteilung von Entzün­dungs­zellen (grün: T‑Lymphozyten, lila: B‑Lymphozyten), Foto: MHH / AG Lungenforschung