3D-Atlas des Knochenmarks

Stamm­zellen im Knochenmark erzeugen lebenslang alle Blut- und Immun­zellen. Ein Heidel­berger Forscherteam hat nun neue Methoden entwi­ckelt, um die dreidi­men­sionale Organi­sation des Knochen­marks auf Einzelzell-Ebene aufzu­zeigen. Dabei haben die Wissen­schaftler bislang unbekannte Zelltypen identi­fi­ziert, die eine spezi­fische Mikro-Umgebung schaffen, die für die Blutbildung aus Stamm­zellen erfor­derlich ist. Die aktuelle Arbeit zeigt die unerwartete Komple­xität im Aufbau des Knochen­marks in einer beispiel­losen Auflösung und liefert neue Möglich­keiten, Blutkrank­heiten wie Leukämien zu untersuchen.

3D-Atlas des Knochenmarks

Mit ihrer Kombi­nation neuer Methoden kann das Team vom Deutschen Krebs­for­schungs­zentrum (DKFZ), vom Heidel­berger Institut für Stamm­zell­tech­no­logie und Experi­men­telle Medizin (HI-STEM gGmbH) und vom Europäi­schen Labora­torium für Moleku­lar­bio­logie (EMBL) grund­sätzlich die Organi­sation aller komplexen Organe charak­te­ri­sieren. In der aktuellen Arbeit konzen­trierten sich die Forscher auf den Aufbau des Knochen­marks von Mäusen.

Bei allen Säuge­tieren beher­bergt das Knochenmark die Blutstamm­zellen, die für die lebens­lange Produktion der verschie­denen Blutzellen verant­wortlich sind. Immer deutlicher zeigt sich, dass das Knochenmark die Fähigkeit hat, Stamm­zellen zu beein­flussen und damit die Blutbildung zu kontrol­lieren. Daher inter­es­sieren sich Wissen­schaftler zunehmend für das Knochenmark in seiner Eigen­schaft als „Nische“ der Blutstamm­zellen in der Hoffnung, dieses Wissen einmal für die Unter­su­chung und mögli­cher­weise bessere Behandlung von Leukämie nutzen zu können.

„Bisher war nur sehr wenig darüber bekannt, wie die verschie­denen Zellen im Knochenmark organi­siert sind und wie sie zur Erhaltung von Blutstamm­zellen inter­agieren“, erklärt Chiara Baccin aus der Gruppe von Lars Steinmetz am EMBL. „Unser Ansatz enthüllt die zelluläre Zusam­men­setzung, die dreidi­men­sionale Organi­sation und die inter­zel­luläre Kommu­ni­kation im Knochenmark. Dieses Gewebe war bisher mit herkömm­lichen Methoden nur schwer zu unter­suchen“, sagt Jude Al-Sabah aus der Forschungs­gruppe von Simon Haas, DKFZ und HI-STEM.

Um zu verstehen, welche Zellen­typen das Knochenmark zusam­men­setzen, wo sie lokali­siert sind und wie sie sich auf Stamm­zellen auswirken könnten, kombi­nierten die Forscher die Verfahren der Einzelzell-Analyse mit neuar­tigen örtlich aufge­lösten Analy­se­me­thoden. Durch die Bestimmung des RNA-Gehalts einzelner Knochen­marks­zellen identi­fi­zierte das Team 32 verschiedene Zelltypen, darunter extrem seltene und bisher unbekannte Arten von Zellen. „Wir vermuten, dass diese seltenen „Nischen­zellen“ die einzig­artige Mikro-Umgebung im Knochenmark schaffen, die für die Funktion der Stamm­zellen und die Produktion neuer Blut- und Immun­zellen notwendig ist“, erklärt Simon Haas, Gruppen­leiter am DKFZ und HI-STEM und einer der Initia­toren der Studie.

Mit einer innova­tiven Berech­nungs­me­thode konnten die Forscher nicht nur die dreidi­men­sionale Organi­sation der verschie­denen Zelltypen im Knochenmark bestimmen und damit einen „3D-Atlas des Knochen­marks“ erstellen, sondern auch deren zelluläre Wechsel­wir­kungen und Kommu­ni­kation vorher­sagen. „Wir können erstmalig die räumlichen Inter­ak­tionen in einem Gewebe auf der Grundlage genomi­scher Daten rechne­risch ableiten“, erklärt Lars Velten aus der Gruppe von Lars Steinmetz.

„Unser Datensatz ist für jedes Labor der Welt öffentlich zugänglich und könnte bei der Verfei­nerung von In-vivo-Studien hilfreich sein“, sagt Lars Steinmetz, Gruppen­leiter und Direktor der Life Science Alliance am EMBL Heidelberg. Die Daten, die bereits heute von verschie­denen Forscher­gruppen genutzt werden, sind über eine benut­zer­freund­liche Web-App weltweit zugänglich.

Mit den in dieser Arbeit beschrie­benen Methoden kann prinzi­piell die dreidi­men­sionale Organi­sation jedes Organs auf Einzelzell-Ebene analy­siert werden. „Unser Ansatz ist breit anwendbar und könnte auch zur Unter­su­chung der komplexen Patho­logie mensch­licher Erkran­kungen wie Anämie oder Leukämie einge­setzt werden“, betont Andreas Trumpp, Geschäfts­führer von HI-STEM und Abtei­lungs­leiter am DKFZ.

Nachweis: Chiara Baccin, Jude Al-Sabah, Lars Velten, Patrick M. Helbling, Florian Grünschläger, Pablo Hernández-Malmierca, César Nombela-Arrieta, Lars M. Steinmetz, Andreas Trumpp, and Simon Haas: Combined single-cell and spatial transcrip­tomics reveal the molecular, cellular and spatial bone marrow niche organization. – Nature Cell Biology 2019, https://doi.org/10.1038/s41556-019‑0439‑6

Foto: Dreidi­men­sionale Segmen­tierung einer Region des Knochen­marks. Verschiedene Nischen­zellen (grüne und rote Punkte) und Blutgefäße (grau) sind hervor­ge­hoben. Quelle: DKFZ, EMBL und Univer­si­täts­spital Zürich